Alexander Korotko ist ein lyrischer Dichter, Prosaist,
Essayist, Autor von literarischen Miniaturen. Sein Werk
richtet sich an die intellektuellen Elite. In seinen Texten
haben sich der Widerhall des „Silbernen Zeitalters“
der russischen Lyrik, Traditionen der klassischen Poesie
und die stark ausgeprägte modernistische Richtung
verflochten.
Dabei ist sein poetischer Gedanke in eine
eigentümliche Form gekleidet, die keine literarischen
Analogien kennt. Alexandr Korotko wird als philosophischer
Dichter der Postmoderne und Vertreter der avantgardistischen
Lyrik der neuesten Zeit bezeichnet. In seinem Werk sind ständig Existenzialismus,
Mystik, Surrealismus präsent.
Die poetische Palette von Korotko ist breit angelegt – von den Monostichen bis zu den
konzeptuellen Werken der epischen Gattung: Poemen
und umfangreichen Gedichtzyklen.
Alexander Korotko ist Autor von etwa 40 Büchern Gedichte und Prosa, seine Werke sind
in poetische Anthologien, Almanache, mehrere Zeitschriftenpublikationen
aufgenommen worden. Seinerzeit wurden sie ins Hebräische, Ukrainische,
Englische, Französische, Deutsche, Italienische, Spanische, Polnische,
Griechische, Kroatische, Aserbaidschanische, Chinesische, Japanische,
Koreanische übertragen.
Er ist Mitglied des Schriftstellerverbandes Israels, des belgischen PEN-Klubs,
Akademiemitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften,
Künste und Literatur in Paris. Er wurde mit dem Mihai Eminescu-Literaturpreis
(Rumänien, 2017), dem Großen Literaturpreis „The Love of Freedom“ (Paris, 2017),
dem Maximilian Kirijenko-Woloschin-Preis (Kiew, 2018) ausgezeichnet.
Es gibt solch eine geläufige Bezeichnung wie der „Weltmensch“. Dieser umfangreiche
Begriff schließt in sich die Ansichtsbreite, Treue den humanistischen Prinzipien
gegenüber, Toleranz, Verständnis anderer Kulturen, Konfessionen,
Traditionen ein. All das bezieht sich in vollem Maße auf die markante,
ungewöhnliche Persönlichkeit – den zeitgenössischen ukrainischen Schriftsteller
Alexander Korotko. Seine metaphorische Sprache ist einfach, sie zeichnet
sich aber durch einen emotionalen Reichtum, Einfühlungskraft und Gedankentiefe aus.
Alexander Korotkos Werke, insbesondere seine Lyrik, sind in
jedem beliebigen Teil der Erde verständlich: in orientalischen
und zentraleuropäischen Ländern, in Nord- und Südamerika, da er
über die menschliche Seele schreibt, über die innere Welt des Menschen.
Seine poetischen Botschaften hinterlassen eine geistige Spur in den Seelen
und Herzen jedes Menschen.
Er versteht, dass die materielle Welt etwas ist, was jeder mit seinen eigenen
Augen sieht, doch das wichtigste Instrument des Dichters die geistige
Sicht ist, die durchblicken lässt, was vielen Menschen in ihrem Alltag
unzugänglich bleibt. Und alles vom Autor Gesehene und im Wort Gestaltete
gibt dem Leser neue geistige Kräfte.
Alexander Korotko ist äußerst anspruchsvoll gegen sich selbst. Er versteht sehr gut, dass die Ruhe nichts anderes als eine passive Degradierungsform bedeutet, er ist immer unterwegs auf der Suche. Indem er geistige Eigenschaften in sich entwickelt, strebt der Dichter eine zugespitzte Wahrnehmung der Welt, ständige Präsenz des Neuen an – bei ihm ist das geistige Selbstbewahrungsinstinkt stark ausgeprägt.
Man kann einen Einblick in die Werke von Alexander Korotko
nehmen sowie sie im Originalton auf der website oder auf seiner
Seite in facebook hören – die Stimme des Autors ist ja einmalig,
sie ist seine geistige Substanz.
„…Er ist ein Konstrukteur für sich selbst. Zugleich auch ein Abnehmer für sich selbst. Und Bewohner seiner eigener Welthäuser. Audiovisueller Corbusier… „Wie aus dem Nest bin aus der Zeit ich jäh herausgefallen“ und „…die Ewigkeit der Leere verwirrt mich nicht“.
Ist es nicht ein Wunder?
Vadim Rabinowitsch, russischer Dichter, Philosoph
„…Alexander Korotko hat auf eine merkwürdige Weise das besondere Aroma und den Geist des „großmütterlichen Stettls“ in sich eingesaugt – mit seinem uns heute bereits entgleitenden Charme und dem ständigen Geschmack der Tragik, die nur Scholem Aleichems Feder, Marc Chagalls Pinsel, David Oistrachs Geige zugänglich sind…“
Alexander Hofeld, Arzt, Dichter (Israel)
„…Der Wahnsinn der Zeit wird bei Korotko transzendental wiedergegeben, Verstand und Bewusstsein kommen lediglich durch eine Mühe, die man über sich selbst machen muss, hinzu – man muss erst den Traum zerreißen, um richtig zu erwachen…“
Andrej Bitov, russischer Schriftsteller
„…Alexander Korotko ist kein Neuling in der Poesie. Das spürt man in allem – in der Bildstruktur seiner poetischen Offenbarungen, in der Fähigkeit, das Wichtigste zu sagen… und in dem Wunsch, äußerst aufrichtig zu sein…“
Andrei Dementjev, russischer Dichter
„Die Einmaligkeit der Dichtung von Alexander Korotko besteht in ihrer kaum bemerkbaren Materialität… Seine Gedichte sind nicht für das Rezitieren, sondern für das Wahrnehmen mit dem Blick bestimmt – dann dringen sie in dich hinein wie das Urelement, wie Verheißung und Hoffnung, denn die Welterschaffung steht noch bevor…“
Pavlo Zahrebelnyj, Klassiker ukrainischer Literatur
„…Alexander Korotko ist ein Maler, und du betrachtest seine Bilder. Und je reicher deine eigene Phantasie ist, desto mehr verstehst und entdeckst du ihn…Der Autor deklariert nur Freiheit – die Selbstäußerungsfreiheit, die Selbstwahrnehmungsfreiheit…“
Andrej Wosnessenski, russischer Dichter
„…Die dichterische Feder Alexander Korotkos ist nicht nur in der Ukraine, sondern auch in vielen anderen Ländern bekannt. Der Dichter ist absolut davon überzeugt, dass wir vor uns die ganze Ewigkeit haben, und dank dieser Überzeugung ist seine innere Welt von Sicherheit und Glauben erfüllt…“
Mehmet Ismail, türkischer Dichter
„…Seine einmalige Dichtenart kann man als Darstellung des Menschen durch das Ausleuchten nicht nur wesentlicher Züge seines Bildes und der äußeren Umgebung, sondern auch durch die Skizzierung der Erscheinungen in aller Ganzheit bezeichnen, mit den zweitrangigen Details der objektiven Wirklichkeit, die Alexander Korotkos Werken eigen sind…“
Sophia Minkwitz, UNESCO-Journalistin
Die Gattung der nachfolgenden poetischen Miniaturen von Alexander Korotko unter dem Titel „Wortschatten“, der auf eines der Gedichte Paul Celans aus seinem Nachlassband „Schneepart“ anspielt („die Wortschatten/ heraushauen, sie klaftern/ rings um den Krampen/ im Kolk“), ist nicht leicht zu definieren, denn diese äußerst lakonischen Zeilen, die manchmal nur aus wenigen Worten bestehen, bewegen sich zwischen einigen Genres. Ihre Prototypen kommen in der Literatur relativ selten vor und haben undeutliche, fließende Grenzen. Vor allem wären hier solche literarischen Formen wie Aphorismus, Apophthegma, Fragment, Maxime, Sentenz, Miniatur, Monostich zu nennen. Die meisten dieser literarischen Kurzformen sind historisch bedingt, sie erlebten ihre Blütezeit in vorangegangenen Epochen und sind heutzutage aus dem literarischen Gebrauch beinahe verschwunden. Außerdem zeichnen sie sich nicht selten durch unterschiedliche inhaltliche Zielsetzungen und strukturelle Gesetzmäßigkeiten aus. So versteht man Fragment als unvollständig oder unvollendet gebliebenes Werk, seit der deutschen Romantik aber auch als eine bewusst gewählte literarische Form, deren Wirkung in ihrer absichtlichen Unabgeschlossenheit oder Unfertigkeit liegt (in der Frühromantik wäre hier an Fr. Schlegels „Lucinde“, Novalisʼ „Heinrich von Ofterdingen“, Achim von Arnims „Die Kronenwächter“ zu denken). Auch vom Monostich, einem Gedicht, das aus einer einzigen Zeile besteht, doch eine abgeschlossene semantische, syntaktische und metrische Struktur vorzeigt, heben sich diese Texte spürbar ab. Monostiche haben sich vor allem in der russischen und französischen Lyrik während des fin de siècle behauptet. Als Paradebeispiele gelten hier Monostiche Valery Bryusovs „О закрой свои бледные ноги“ („Oh, bedecke deine blassen Beine“, 1894) oder Guillaume Apollinaires „Et l’unique cordeau des trompettes marines“ („Und einsamer Gesang der einzigen Darmsaite“) aus seinem Gedichtband „Alcools“ (1914). Auch die Gattung der ursprünglich aus der bildenden Kunst kommenden Miniatur, die zuerst eine illustrative Funktion in mittelalterlichen Manuskripten, sich später aber auch in der Literatur als poetische Miniatur durchgesetzt hatte, kommt hier in Frage – besonders in ihrer heutigen Bedeutung als ein gedanklich und strukturell abgeschlossener minimalistischer Text, für den eine innere künstlerische Einheit charakteristisch ist.
Am nächsten stehen die vorliegenden lapidaren Texte von Alexander Korotko dem Begriff des Aphorismus, einer literarischen Gattung, die eine „prägnant knappe, geistreiche oder spitzfindige Formulierung eines Gedanken, eines Urteils, einer Lebensweisheit“ darstellt, wie das deutsche „Metzler Literatur Lexikon“ ihn definiert, und dabei effektvolle Anwendung rhetorischer Stilmittel wie Antithese, Paradoxon, Hyperbel, Emphase, Parallelismus, Aposiopese, Chiasmus u. a. demonstriert.
Aphorismen finden sich schon in der Antike (Hippokrates, Mark Aurel, Cicero, Julius Cäsar, Ovid), besondere Blüte erleben sie dann in der Spätrenaissance bei Francis Bacon, Erasmus, Montagne, bei den französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts La Rochefoucauld und La Bruyère, dem französischen Philosophen Blaise Pascal, dem spanischen Barocktheoretiker Balthazar Gracián. Im 18. Jahrhundert sind sie bei Vauvenargues und Chamfort, in Deutschland bei Lichtenberg, in der Romantik bei Schlegel und Novalis, ferner bei Heine, Schopenhauer, im 20. Jahrhundert bei Nietzsche, Alfred Kerr, Karl Kraus, Peter Altenberg u.a. vertreten. Auch im slawischen Kulturraum hatte diese Gattung ihre Anhänger gehabt, so sind in der russischen Literatur Aphorismen von Кosma Prutkov oder Michail Svetlov bekannt, als großer Aphoristiker in der polnischen Literatur gilt Stanislaw Jerzy Lec („Myśli nieuczesane“/ „Ungekämmte Gedanken“). In der Ukraine übten sich in humoristisch-sarkastischen Aphorismen der geniale Übersetzer Мykola Lukasch („Шпигачки“/ „Sticheleien“) und der bedeutende Dichter Мojsej Fischbejn („Аферизми“/ „Affärismen“).
Grundsätzlich sind die Aphorismen, die noch als „geflügelte Worte“ bekannt sind, mit dem volkstümlichen Sprichwort verwandt, sie haben aber nicht mehr eine folkloristische Herkunft, sondern eine individuelle Autorenschaft, daher werden sie außerdem „Sprichwörter der Gebildeten“ genannt. Sie gründen auf betonte Subjektivität und sollen den Leser in der Regel durch die Paradoxie des gedanklichen Ausdrucks überraschen und verblüffen.
Man kann einen Klassifikationsversuch wagen und diese geistigen Splitter von Alexander Korotko nach rhetorischen Stilmitteln oder thematischen Dominanten
gliedern. Die meisten von ihnen sind auf Paradoxon und Antithese gebaut, es gibt aber unter ihnen solche, in denen diese rhetorischen Figuren besonders stark ausgeprägt sind. Auf den ersten Blick stellen Paradoxien alogische, manchmal unsinnige Behauptungen dar, die eine kritische Revision einer bekannten Tatsache oder Begebenheit verlangen und sich dann als „höhere Wahrheit“ erweisen. Man kennt z.B. die biblische Geschichte von Adam und Eva seit eh und je in allen Einzelheiten, aber der Satz A. Korotkos „Adam und Eva haben einander nie geliebt“ macht uns stutzig und lässt uns darüber noch einmal nachdenken und mit Verwunderung feststellen, dass es bei den ersten Menschen eigentlich nie um die Liebe als starkes emotionelles menschliches Gefühl, als Leidenschaft ging.
Eine der wichtigen thematischen Gruppen bilden in diesen Sentenzen philosophische Aphorismen: „Fünf Kontinente der Gefühle machen die ganze Erdkugel des Menschen aus“, „Das Leben ohne Interpunktion“, „Gedankenpunkte gelten für lange Zeit, der Punkt aber für immer“, „Als ungebetener Gast auf Erden leben“, „Die Zeit hat ihren eigenen Uhrmacher“ usw. Auch diesen Sprüchen wohnen versteckte Paradoxien inne, sie sind philosophisch gefärbt und laden den Leser zum tieferen Mitdenken über existenzielle Fragen ein.
Es gibt unter diesen Sentenzen auch solche, die einen durchaus politischen Charakter haben und nur im Kontext der Geschichte oder der in Vergessenheit geratenen, aber immer noch im Bewusstsein vieler unserer Mitbürger präsenten sowjetischen Wirklichkeit verständlich sind: „Die Angst ist mein Schutzengel“, „Das gute Herz eines Denunzianten“, „Man kann nicht alle unter Aufsicht stellen – man hätte es aber so gern getan“, „Man nahm allen alles weg – nur bei jedem dem Zweiten“, „Legen Sie bitte ihr falsches Zeugnis ab“, „Unsere Sache ist gerecht, wir werden euch zufriedenstellen“. Man errät leicht hinter diesen Sätzen berüchtigte politische Floskel und Klischees der Sowjetzeit, die hier verfremdet und sarkastisch parodiert werden. Einige Aphorismen dieser Gruppe spielen grotesk auf den im zaristischen Reich und später in der Sowjetunion expliziten oder latenten Antisemitismus an: „Wohlwollender Pogrom“, „Humaner Antisemitismus“, „Es gibt auch solche Vaternamen, das verstehst du schon“. Die Wahrnehmung uns Wirkung solcher Aphorismen hängt von der Fähigkeit des Rezipienten, die tragischen
Ereignisse einer nicht sehr entfernten Geschichte ins Gedächtnis zu rufen: jene bedrückende Atmosphäre lähmender Angst, die Jagd auf die sog. „Volksfeinde“, berüchtigte Schauprozesse der 1930er Jahre, Hungersnot (Holodomor) in der Ukraine, grausame antisemitische Ausschreitungen (der Kampf gegen den Kosmopolitismus, „Ärzteprozess“) usw.
Die größte Gruppe dieser Kurztexte bilden aber Aphorismen, die stark metaphorisch geladen sind und wirklich als poetische Miniaturen betrachtet werden können. Sie wurzeln in reiner lyrischer Substanz und potenzieren dank ihrem Lakonismus ihre Bildkraft um das mehrfache. Sie überraschen uns durch die Beobachtungsgabe des Autors, seine Fähigkeit, recht entfernte, tief verborgene Zusammenhänge der objektiven Realität in neuen Konstellationen zu verbinden: „Der Geigen-Schlüssel einer Schnecke“, „Der Tunnel ist ein Federkasten mit den Bleistiften von Autos“, „Das Pfauenrad des Regenbogens“, „Goldfische der Sterne im Nachtaquarium“, „Das Segel blies die Backen auf“, „Milchkühe der Nebelschwade“, „Die Hieroglyphen des Blätterfalls“, „Posttauben der Träume“ usw. Solche Zeilen lassen beim Leser keine Zweifel: hier arbeitet ein echter Lyriker.
Die poetischen Miniaturen von Alexander Korotko zeichnen sich, wie die meisten Exempel der Aphoristik, durch eine suggestive Kraft aus, sie akkumulieren ihre Suggestion aus eigener Kürze, denn hinter den wenigen Worten dieser Kurztexte liegen mehrere Schichten des Ungesagten, das der Leser dann durch sein Wissen, seine Erfahrung, sein Einfühlungsvermögen ergänzt. So ist die Aussagekraft dieser poetischen Zeilen immer größer als die Summe von semantischen Bedeutungen der sie bildenden Wörter. Dazu kommt noch jener Umstand, dass sie hier in dreisprachiger Ausführung angeboten werden. Jede Sprache hat aber ihre eigenen Ausdrucksressourcen, ihre konnotativen Potenziale, daher entstehen in verschiedenen sprachlichen Registern zusätzliche Sinn- und Stilnuancen. Dies alles bereichert die Wahrnehmungspalette dieser poetischen Miniaturen und macht die Erfassung ihres tieferen Sinns zu einem ästhetischen Genuss.
Petro Rychlo
„…Schaffen ist kein Sport und kein Business. Außerdem sind all unsere Siege und Regalien nur eine Illusion, nicht mehr. Ich glaube, der wichtigste Unterschied eines schöpferischen Menschen von anderen Mitbürgern besteht in absoluter Unsicherheit und Zweifeln, die dir keine Ruhe geben. Das ist aber auch der größte Erfolg und eine unentbehrliche Vorbedingung eines schöpferischen Prozesses…“
„..Was ist das Schaffen? Das ist eine individuelle Arbeitstätigkeit, und wenn du betrügen, heucheln wirst, so wird der Allmächtige dein Recht zu schaffen wegnehmen. Ganz sicher wird er es wegnehmen, du sollst nicht denken, du hast es für ewig bekommen. Wir haben mehrmals gesehen, wie man es verliert. Es gibt solch einen Begriff wie Erschöpfung des Talents. Wieso begann Leo Tolstoi auf einmal zu pflügen? Warum begannen viele Dichter, Schriftsteller zu trinken? Nur deswegen, weil der Schöpfer Ihnen ihre Begabung weggenommen hat. Wir wissen ja nicht, warum er den einen oder den anderen Menschen auf unserer Erde auswählt. Diese Gabe ist wie eine Prüfung, die du bestehen musst…“
„…Als gläubiger Mensch meine ich, dass wir alles, was uns der Schöpfer gibt, mit Demut annehmen sollen. Er hat uns dieses Leben gegeben, und diese Zeit… Ein anderes Leben und eine andere Zeit werden wir auf Erden nicht haben. Und wenn du zu klagen beginnst, so zerstörst du dich selbst. Wir fragen: was ist denn das überhaupt – der schöpferische Prozess? Das ist ein anderes Erleben, eine andere Qualität des Lebens, vor allem des geistigen, andere Farben, eine andere Weltwahrnehmung und Weltempfindung. Jeder schöpferische Mensch, insbesondere ein Dichter, legt für die Menschheit eine Brücke aus dem Endlichen ins Unendliche. Das ist die Mission des Künstlers auf Erden, er soll sie immer schätzen…“
„…Jeder künstlerische Mensch will bedeutend sein, will gehört werden. Es ist eine gefährliche Sache – in die Schublade zu schreiben. Doch die Zeit, die Situation zu beklagen ist unproduktiv. Aus der Position der Faulheit, aus der Position der Traurigkeit kann man kaum etwas Großes, selbst etwas Normales schaffen. Wenn du ein schöpferischer Mensch bist, so ist es ein Merkmal intellektueller Kraft. Wenn du daran nicht glaubst, was du machst, dann gib lieber diese Tätigkeit auf. Das ist dein Leben, dein Schicksal, deine Geschichte. Und welchen Sinn hat es dann – zu klagen oder jemanden zu beneiden? Nein, so funktioniert das Wort nicht…“
„…Mein schöpferischer Prozess besteht immer aus der Arbeit am Werkvorhaben und an seiner Realisierung – d. h. seiner künstlerischen Verkörperung. Das Vorhaben ist für mich immer primär, ich arbeite es bis ins kleinste Detail durch. Wenn mein Vorhaben dem entspricht, was in mir reift, so wird auch seine Realisierung würdig sein. Ich schreibe nie das Sujet technisch durch, sondern ich warte, bis es sich in mir endgültig formt und der Kreis sich schließt. Diesem Prozess schenke ich viel mehr Aufmerksamkeit als der Realisierung des Vorhabens…”
„…Ich schreibe, ohne mein Lesepublikum zu berücksichtigen. Ich bin der Meinung, dass nicht der Dichter seinen Leser, sondern der Leser seinen Dichter suchen soll. Ich gehe immer allein, aber nicht auf einer Horizontalen, sondern auf einer Vertikalen. Ich bin überzeugt: wenn man nur mit dem Ziel arbeitet, seinem Leser zu gefallen, wirst du unbedingt abstürzen und den Gipfel nie erreichen…“
„…Poesie verlangt dieselbe Arbeit vom Leser und vom Dichter. Das ist die Arbeit des Herzens und der Seele. Gewiss ist es leichter, Popmusik als eine komplizierte sinfonische Musik zu hören, es ist leichter, Comics zu betrachten als eine ernste Malerei oder ein tieferes philosophisches Werk zu erfassen. Poesieliebhaber können nicht zahlreich sein. Einmal hat sich sogar Puschkin beklagt: „Husaren lesen unsere Gedichte nicht“. Ich gestatte mir einen provokativen Gedanken zu äußern: für einen schöpferischen Menschen darf sich solch eine Kategorie wie der Leser nicht auf seiner Koordinatenachse befinden. Die Erfassung des Geschriebenen ist kein minderer schöpferischer Prozess als die Erschaffung eines Werkes…“
„…Es ist illusorisch, eine Anerkennung von unseren immer laufenden, immer ins Nirgends hastenden Zeitgenossen zu erwarten – von uns allen, umso mehr von den Dichtern, hängt kaum etwas in dieser niedrigsten aller Welten ab. Wie können sie die Poesie verstehen, wenn sie sich selbst nicht verstehen können? Nun laufen sie bis zur ersten letzten Haltestelle…“
„…Die Anerkennung ist wie der Kommunismus – eine reine Utopie. Was mich betrifft, so glaube ich in meinem Werk keine ins Gewicht fallenden Ergebnisse erreicht zu haben, insbesondere wenn es um eine so brüchige und zweifelhafte Sache wie Poesie geht…“
„…Die Zeit ist jetzt nicht einfach, viele sagen: es gibt wichtigere Dinge als Poesie. Je nach dem. Denken Sie an den Anfang des vorigen Jahrhunderts. Revolution, Bürgerkrieg… Was für Dichter haben aber damals gewirkt! Auch heute ist eine günstige Zeit für echte Dichter, die von ihren Gedichten keine Dividenden erwarten. Heute schreiben jene Autoren, die es anders nicht können. Alles ist sehr einfach. Poesie ist eine geistige Sphäre, in der es kaum angebracht ist, Vorteile zu suchen…“
„…Große Poesie ist kompliziert, sie ist nicht für Stadien bestimmt. Wenn du ganze Stadien sammelst, so stimmt hier etwas nicht. Denn ein Dichter – ich spreche von einem großen Dichter – ist immer älter als seine Zeitgenossen, er schaut hinter den Horizont. Bewusst, unterbewusst, unbewusst…“
„…Poesie – das ist die Geistesfreiheit, Gedankenflug, schöpferische Fantasie. Gedichte eines guten Dichters sind sichtbar. Wenn du eine echte Poesie liest, so spürst du sie nicht nur, du siehst sie auch – es ist so, als ob du in einem Kinosaal sitzt, in dem es nur einen eimzigen Zuschauer gibt, und dieser Zuschauer bist du selbst, der Leser…“
„…Zu einer guten Dichtung will man immer wieder zurückkehren, und indem man diese Dichtung noch einmal liest, öffnet man für sich immer neuere Facetten. Und das ist kein Zufall, da in solch einer Poesie immer göttliche Funken präsent sind…“
„…An und für sich ist Poesie eine mystische Sphäre, ich würde sogar sagen – die Sphäre einer esoterischen Vorahnung. Die Enthüllung des schöpferischen Prozesses ist sehr gefährlich. Denn wenn du schreibst, gehörst du nicht dir selbst. Der schöpferische Prozess ist eine Begegnung mit dem Schöpfer. Er gibt dir nicht nur die Möglichkeit zu schaffen, sondern kann dir mit gleichem Erfolg diese Gabe wegnehmen, falls du unartig bist…“
„…Poesie öffnet neue Bedeutungen, neue Welten nicht nur für ihre Liebhaber, sondern auch für den Dichter selbst. Über jedem Schaffen schwebt ein Geheimnis, und das ist ein göttliches Geheimnis – es ist unfassbar, unentzifferbar. So war es, so wird es immer sein. Das Schaffen ist Liebe. Mit jedem neuen Text erfasst du nicht nur deine Umwelt, sondern mehrere Welten, die in deiner Seele leben, aber auch jenseits des Weltalls. Für mich persönlich ist das Schaffen ohne Glauben sinnlos, das Schaffen ist nur eines der Instrumente dieser Erfassung des Göttlichen, eine furchtsame Berührung des Schöpfers…“
„…nur über das Leiden büßen und reinigen wir uns. Meiner Ansicht nach ist die Poesie nicht nur autobiographisch, sie ist ganz, wie der Mensch, aus den Schmerzenszellen gewoben, und sogar die Liebe ist dabei keine Ausnahme. Eine andere Sache ist, dass man auf verschiedene Weise leiden kann. Wichtig ist nicht, wie du in diesen Zustand hineingehst, sondern wie du aus ihm herauskommst. Wenn das Leiden ein Labyrinth ist, aus dem du keinen Ausweg findest, so ist es ein Unheil. Bevor du hineingehst, schau dich um, wo der Ausgang ist…“
„…Zu Dichtern und Mördern entwickelt man sich nicht, man wird als Dichter oder Mörder geboren. In der Tat realisiert man nur das, was in dir schon im Voraus vorprogrammiert ist. Es gibt zwar eine kleine, aber unangenehme Nuance: zum schöpferischen Talent gehört üblicherweise auch Talent zur Arbeit. Es kann manchmal auch umgekehrt sein: das Talent ist ganz winzig, aber man spürt in sich eine unwiderstehliche Arbeitswut. So wird man gewöhnlich zu einem graphomanischen Vielschreiber…“
„…Es ist kaum möglich, Poesie objektiv einzuschätzen. Poesie ist – wenn nicht die absolut subjektive, so doch eine der subjektivsten Betätigungen auf Erden – eine sehr intime, sehr individuelle Betätigung, etwa wie ein Dialog mit der Seele des Menschen…“
„…Wie erklärt man, dass Er ausgerechnet dich auserwählt hat? Diese Frage macht jeden Schreibenden verwundbar. Du bist nie sicher, ob du ein neues Gedicht schreiben kannst, ob Er dir diese Möglichkeit geben wird…“
„…Den größten Teil seines Lebens verbringt der Dichter inmitten seiner eigenen Welt. Sein Domizil ist das Wort. Diese Welt ist hermetisch und gleicht einer Schnecke, die nach dem Regen aus ihrer Muschel herausschaut, und es regnet bekanntlich nicht jeden Tag. Der Dichter ist absolut verkapselt. Es ist wie das moderne Arzneimittel: du schluckst – und spürst keine Bitterkeit, denn sie befindet sich in einer Hülle. Der Dichter ist von Emotionen und Leiden überfüllt, der Schmerz durchdringt ihn, sein Leben ist frei von äußeren Effekten. Die ganze Tragik der menschlichen Existenz liegt jenseits der Grenzen des von der äußeren Welt Erfassbaren. Das Leben inmitten des Lebens ist sogar für ein aufmerksames Auge unsichtbar. Zweifellos ist es eine sehr dünne Wand zwischen dem Rationalen und Irrationalen. Wenn es aber so ist, dann sind auch Zweifel, Unsicherheit, Selbstkritik, genauer Selbstvernichtung verlässliche und treue Freunde des Dichters. Ohne sie geht es nicht. Der Dichter vergleicht sich selbst nicht mit dem Schöpfer, er hat sogar vor seinen Boten, den Engeln, Angst, er fürchtet sich vor ihnen so stark, dass er vor jeder neuen Begegnung mit ihnen zittert. In seiner eigenen Vorstellung scheint der Dichter sich selbst kleiner zu sein als eine Ameise, ein Insekt. Nicht zufällig gibt es beim genialen Kafka eine Novelle, in der der Mensch in ein Insekt verwandelt wird …“
„…Der Dichter ist immer einsam. Die Einsamkeit ist sein eigener Planet. Er ist allein, neben ihm steht niemand mehr. Die Einsamkeit ist ein Selbstgenügsamkeitstest jeder geistigen Persönlichkeit. Was ist aber die Einsamkeit für einen Dichter? Sie ist die Stille, das Blättergeräusch. Das bist du, abgesondert vom eigenen Ich, du sitzt in einem erträumten Zuschauersaal und siehst dir dein Leben als Theater an. Die Einsamkeit hat keine Ufer, du hast nie Zeit für dich selbst. Du spürst einen ewigen Aussagehunger, hast den Wunsch, dich auszusprechen, dich satt zu reden, aber da dringt das Leben ein und nimmt dich dir selbst weg, und so dauert es schon viele Jahre. Seltsam, aber die Einsamkeit gibt dir das Recht, dich selbst bis in die letzte Faser zu erfassen, all deine Ängste und Zweifel, Anhänglichkeiten und Lieben zu erkennen. Man möchte immer zu sich selbst zurückzukehren, und du kehrst zurück und sinkst in den Strudel der Einsamkeit. Und so wird es immer sein solange wir hier leben, und wie es dort sein wird, wird sich mit der Zeit zeigen…“
„…Unsere Erdkugel verwandelte sich dank dem Internet in eine für meine Vorstellungen kleine Kommunalwohnung mit einer Toilette, mit der gemeinsamen Küche. Ein Klick – und du bist in Australien, ein anderer Klick – und du bist in China. Die Welt hat sich bis zum unglaublichen Maß zusammengeschrumpft, in der unglaubliche Prozesse vorgehen. Wir leben in diesem Zeittrichter, der sich mit einer unfassbaren Geschwindigkeit dreht. Ich persönlich messe die Zeit nicht mehr mit Jahren oder Jahrzehnten, sondern mit dem verlebten Tag. Vielleicht ist er mein letzter?“
„Wir leben in einer sehr unruhigen Zeit. Die Menschheit muss eine Prüfung bestehen, und wie sie sie ablegt, ist noch nicht klar. Für mich ist nur eines klar: so wie wir bisher gelebt haben, werden wir nicht mehr leben können, die Welt wird nicht mehr so sein, wie vor dem Corona-Virus. Ja, die wirtschaftliche Situation führt jeden Staat, große und kleinere Firmen, jeden einzelnen Menschen zu einem großen materiellen Bankrott, über den niemand spricht, an den die Menschen einfach nicht denken. Bis heute können wir nicht erfassen, dass es außer dem physischen Körper auch eine Seele gibt. Leider befassen wir uns mit ihr nicht, und es löst eine Unruhe aus. Wie paradox, sogar zynisch es klingen mag, aber mit dem Corona-Virus haben wir die einmalige Möglichkeit bekommen, den Sinn des Lebens tiefer zu erfassen. Ich habe es in vollem Maße in mir selbst gespürt. Sehr vieles wird in dieser Zeit gedanklich verarbeitet, und du erkennst ganz anders nicht nur dich selbst in der Welt, sondern auch die Welt in dir…“
„…Ich bin tief davon überzeugt, dass es eine Gottesstrafe, eine Warnung ist. Wir sehen doch, wie die Menschheit in Sünden versinkt, wie tief Politiker degradiert sind… Der Schöpfer zeigt uns – du kannst ein Millionär, ein Milliardär, ein Präsident sein, vom Virus kannst du dich aber nicht verstecken – hier hat er alle in die gleiche Position gestellt. Der Schöpfer erinnerte uns daran, dass wir alle nur Menschen sind. Er sagt zu uns: ihr misshandelt die Natur, ihr vernichtet einander… Falls ihr keine Konsequenzen daraus zieht, dann sollt ihr die nächste Sintflut erwarten, wie es zur Zeit des Noah war. Das ist meine Empfindung, so fühle ich…“
„…Heute müssen alle Politiker der Welt ihre eigenen Ambitionen und ihre Macht preisgeben, die unnötig und gebrechlich ist wie die Reichtümer des Gogolschen Pljuschkin. Alles ist schon längst verfault. Es gibt nur zwei Werte, die aber, so scheint es, ganz weit von unserem Bewusstsein entfernt sind. Das ist die Demut und die Güte. Falls sie fehlen, so macht es keinen Sinn, sich auf ihre Suche zu begeben, es scheint umsonst zu sein wie alles Andere, was wir bis jetzt gemacht haben. Wir haben keine Zeit mehr. Die Zeit ist heute wie eine Mine, wie eine Zeitbombe, und man zählt die Stunden, in denen sie explodieren wird, so dass vom friedlichen Leben und dem bisherigen Wohlstand keine Spur mehr bleiben wird …“
Der Text der poetischen Übersetzung kann nicht eine genaue Kopie des Originals sein. Wie paradox es auch klingen mag, aber vom Übersetzer wird eine starke Leidenschaft und nicht weniger Inspiration als vom Autor poetischer Zeilen verlangt. Manchmal scheint es mir, es sei viel schwieriger, Gedichte zu übersetzen als sie selber zu schreiben.
Wenn die Übersetzung eine genaue Kopie des Originals ist, stirbt das Gedicht, verwelkt wie die Blumen, verwandelt sich in ein vertrocknetes Herbarium, in dem weder Seele noch Emotion noch Lebenskraft geblieben ist.
Die Übersetzung ist eine Interpretation, das Erfassen des Wortgedächtnisses des Dichters, das Eindringen in sein Unterbewusstsein, wo die Wörter der Sprache aufbewahrt werden, in der er schreibt.
Die Übersetzung aus dem Russischen ins Iwrith ist wie der Exodus aus dem Ägypten nach Erez Israel, das ist ein schwerer Weg durch die Wüste, und es ist nicht einfach, das Ziel zu erreichen. Das ist eine enorme alltägliche Arbeit des Herzens und der Seele, und wenn es etwas schief geht, so weichen wir von der Route ab, wie es nicht einmal mit unseren Erzvätern im Laufe der 40 Jahre der Wanderung durch die Wüste der Fall war.
Ich möchte mich über meine Erfahrung der Zusammenarbeit mit Übersetzern äußern. Ich glaube, dass Dichter, und nicht nur Dichter, sondern die meisten schöpferischen Menschen, in der Regel ihrem Wesen nach Perfektionisten sind. Was die Dichter betrifft, so wünscht sich ein jeder, der mit den Übersetzungen eigener Werke zu tun hat, ein ideales Resultat zu haben und träumt davon, dass die Übersetzung das Original nicht diskreditiert.
Wie meine eigene Erfahrung zeigt, ist es kaum möglich, bei dem existierenden überlieferten Verfahren dieses Ziel zu erreichen.
Zum ersten, um die Qualität der Übersetzung einzuschätzen, muss man mindestens die Sprachen können, in die deine Texte übersetzt werden. Zum zweiten, man muss sich im Klaren sein, inwieweit der Übersetzer nicht nur versteht, was er übersetzt, sondern auch inwieweit er deine Poesie liebt und sich von ihr angezogen fühlt.
Ich bitte mein Pathos zu entschuldigen, aber bei dem Übersetzer muss der Zustand einer Ergriffenheit, ich würde sogar sagen – einer Leidenschaft – entstehen, die ihn verfolgen soll, solang er am Werk des Dichters arbeitet.
Aber auch das reicht nicht, daher einige Gedanken aus dem Bereich des Mystischen, Irrationalen. Wünschenswert ist, dass die Sterne zusammentreffen und eine persönliche Bekanntschaft des Autors mit seinem einzigen und einmaligen Übersetzer zustande kommt. Und es ist wichtig, dass diese Bekanntschaft bis zum Abschluss der Übersetzung dauert. Zum Glück erlauben es die heutigen Kommunikationsmittel.
Es ist so wie bei menschlichen Beziehungen im Allgemeinen – entweder glücken sie oder glücken sie nicht – das ist sozusagen Liebe auf den ersten Blick. Man muss danach streben, dass alles zusammentrifft.
Nur bei solch einer Kombination, wie paradox es auch klingen mag, hat der Autor die Chance, eine Übersetzung zu bekommen, die sich vom Original nicht unterscheiden wird.
Und das Letzte. Ich würde in meinen Ausführungen nicht so kategorisch sein, hätte ich die negativen Ergebnisse nicht gehabt, von denen ich vorher gesprochen habe.
Wann kann man von einem guten Ergebnis bei der poetischen Übersetzung sprechen? Das gute Ergebnis kommt nur dann, wenn der Übersetzer
1). das Gefühl für die Sprache des Originals hat und alles genau wiedergibt: Licht, Musik, Farben und emotionelle Stimmung der Poesie.
2). wenn er vom „selben poetischen Blut“ des zu übersetzenden Autors ist – wenn also ihre poetischen Prinzipien zusammenfallen, wenn er die sinnliche, geistige Welt des Autors versteht und teilt.
3). wenn beide in die gleiche Resonanz einstimmen.
Ideal wäre, wenn der Autor und sein Übersetzer zeitlich und räumlich zusammenfallen (der Aufenthalt auf Erden), wenn sie miteinander, und nicht nur virtuell, in Verbindung stehen (moderne Kommunikationsmöglichkeiten erlauben es.)
Für Olja Iltschuk
Eine Leidenschaft ergreift dich, wenn jedes Wort
sich in dein Herz hineinbohrt,
und dein Atem stockt,
du schnappst nach Luft, du ertrinkst
im Wasserwirbel der Bilder, im Spiel der Bedeutungen, –
Grauen, Sinnestäuschung, man will diese Liebe loswerden,
sich von ihrer Verfolgung befreien,
den Wechsel der Bestandteile abstreifen,
wo sie – du bist, und du – sie ist
im brüchigen Gewand der Berührungen,
im mentalen Trug der Vorahnungen,
bis alles zu Ende ist.
Wovon ist die Rede? Natürlich von der Übersetzung,
von der Übertragung der Poesie von einem Ufer
der Sprache zum anderen.
Lebensschöpfende Kraft der Begegnung ohne Begegnung für Tage, Monate, Jahre als eine abgesonderte Substanz der Inspiration, als Kugelblitz der Energie, die nicht tötet, sondern lebendig macht, die deine Sprache in die Sprache der Weltherrschaft des Verstehens umformt, entsteht in dem großen und menschenreichen Raum der Einsamkeit, wenn die Zeit nicht stehenbleibt, wenn sie nicht vergeht, sondern die Mitautorschaft des Dichters und des Übersetzerdichters zusammenführt. Damit es aber beginnt und sich entwickelt, ist eine Persönlichkeit notwendig, die die beiden entblößten Drähte in die Hände nimmt und verbindet, ohne Angst zu haben, im Feuer verschiedener, doch so verwandter elektrischer Potentiale zu verbrennen. Wen meine ich damit? Natürlich meine Übersetzer Petro Rychlo, Dmytro Drozdovskyi, Hilary Shirs, Michael Pursglav sowie mich selbst. Vor allem möchte ich hier meine unendliche Dankbarkeit an Hilary Shirs äußern – für zahlreiche Übersetzungen meiner Gedichte, insbesondere für die glänzende Übertragung von drei Poemen: „Paris“, „Venedig“ und „Sonnengeliebte“.
Der schöpferische Mensch, besonders Dichter, weiß, spürt mit jeder Zelle seines Körpers, dass die Begegnung mit dem Übersetzer kein reiner Zufall ist. Es ist mit der Liebe auf den ersten Blick zu vergleichen, – sie wird entweder gehegt oder nicht erlebt.
Bezüglich darauf äußern sich die Jugendlichen in ihrer eigenen Sprache, dass die Chemie zwischen den Menschen entstehe. Ich weiß nicht, welche Chemie gemeint wird, aber ich weiß Bescheid, dass das Zufällige mit dem Zufälligen abgeschlossen wird.
Hiermit geht es um mich und Professor Alois Woldan, den ich als den hervorragenden und glänzenden Übersetzer meiner Dichtung ins Deutsche bezeichnen kann und mit dem ich dank Professor Petro Rychlo und Dmytro Drozdovskyi, Chefredakteur von der ukrainischen Zeitschrift der ausländischen Literatur „Vsesvit“ zusammenwirke.
Ich möchte nicht auflisten, was alles von Alois Woldan während zwei Jahre übersetzt wurde, von den kleinen poetischen Formen bis zu den großen, auch Interviews kommen dazu, die im Allgemeinen dem schöpferischen Prozess und im Besonderen meiner Weltempfindung als Dichter veranschaulichen, der nicht nur seine Feder wörtlich führt, sondern auch die Tiefenprozesse verfolgt, die sich jede Minute in der Seele des schöpferischen Menschen abspielen.
Das Zusammenwirken mit dem Übersetzer erinnert mich an die Erkletterung von zwei Gipfelstürmern, die in der Seilschaft eine Gipfel besteigen, und von jedem Einzelnen hängen nicht nur Erfolg einfach, sondern auch das Leben des Anderen ab.
Wie gesagt, ist Alois für mich gerade jener Übersetzer, der mich nicht nur an der steilen Felsenwand des Schicksals sichert, sondern auch mich zum Gipfel seiner Sprache führt.
Der Dichter und der Übersetzer wirken im Stillen zusammen. Ich würde sogar mehr sagen, das ist ein ziemlich feinfühliger Prozess, in dem der Kammerton der Vorgefühle und das Gespür selbst den künftigen Raum des neuen Klanges von deinen Werken bestimmen. Und diese Werke versetzen sich im Willen der höheren Gewalt aus einer geistigen Sphäre in die andere.
Punktgenau die Bahn
der Zeiger
auf dem geschlossenen
Kreis
der Insel der Zeit.
Und wenn das Uhrwerk
des Lebens zu Ende ist
und das Zelt
von Hoffnung und Sorge
sich losreißt
vom eingesessenen Ort
in die Gefilde des Gedächtnisses,
wo im Feld der Stille
die Ähren der Erinnerung
aufgehen…
Wir trennen uns
für einen unbekannten Augenblick
und es sprießen
Worte der Liebe
mit deinem Schweigen
in meinem Bewusstsein.
Mutter, deine Augen
Verkohlt von Tränen,
sind ähnlich
den Ruinen
des Lebenslichts,
und Blut fließt aus
deinen Wunden,
wenn du auf
bloßen schwachen Füssen
gehst am Horizont
auf den Glasscherben
des Morgenlichts,
über das Feld
das Stoppelfeld.
Noch ist es weit zum
Sohn,
er schläft in einem anderen
Land
einen unsterblichen
einsamen Schlaf
und wartet, dass du ihn
schließt
in deine warmen
Arme.
Kartenhaus der
Liebe –
mystischer Zufluchtsort,
von Etüden aus der Zeit
der Wiedergeburt
irdischer Launen
wo der Nachklang
der Erschütterungen
lebt
im Mondspiegel der
Erinnerung –
im kalten
Schloss gebaut auf den Sand
der Nächte.
Der Rat tritt zusammen –
ein Bienenschwarm von Sternen.
Und da in den schwarzen
Pupillen der Nacht
blinkend
sich die Meduse der Morgenröte
spiegelt,
wächst und reift
im einsamen
Feld des Himmels
die Sonnenblumensonne.
Honigträchtig die Zeit.
In der verzauberten Zeit
nichtadressierter Liebe
trifft am Horizont
des Vollmonds
der Sonnenuntergang
auf die Nacht
mit der spielerischen
Ohrfeige des Meeres.
Alles atmet im Warten
auf die reine Sünde
und träumt im Wachsein
einen unblutigen, entblößten
Traum.
Der Zeit nackte
Wände –
alles nur
Dekor des Verstands
auf dem Hintergrund
einer Mondfinsternis
der Liebe
im Inneren
überstürzt ergriffener
Illusionen.
Das Wohlbefinden der Finger
erfreut
ein nervöses Zittern,
das den Takt schlägt
unisono mit dem Regen
versandeter Wolken.
Auf der Reede des Herbsts
schaukeln die Blätter
Schaluppen.
Und die Skipper der Winde
rüsten sie zum Auslaufen.
Regengüsse, schaut nicht so
schief.
Zeit ist es die schlaflosen
Liebesnächte
zu verlassen.
Der Sonne
Billardkugel
rollt in das Loch des Untergangs.
Nächtliche Leidenschaft der Wellen
erhitzt bis zur Weißglut.
Auf der Laufbahn aus Mond
dem Meer entlang
einmal hier, einmal dort
Glanz von Dressurreitern
der Liebe.
Die Rennbahn der Wünsche
lebt
vom Warten auf den Wettlauf.
Im Theater des Lebens
hat die Begeisterung Premiere.
Mit der Morgendämmerung
tragen Bühnenarbeiter
die Kulissen des
Glücksspiels weg
hinter das Bühnenbild des Horizonts
bis zur nächsten
Vorstellung.
Willkommen!
Die Janitscharen Krieger
des Osmanischen Reichs
der Wolken,
kastriert von Regengüssen,
mit Klingen von Blitzen
sind zurückgekehrt
auf das grimmige Feld
der Ehre,
in die Bruderkriege
zukünftiger Ereignisse.
Palastrevolte
der Einbildung –
eine Herde von nicht gemähten
Regengüssen,
türkische Bäder
von Nebeln,
Konspiration der
Kunstkabinette der Nacht.
Der unterwürfige Null-Eunuch
im Harem
von Liebespusteblumen
brennt vor Liebe
zur Bettgenossin
des Sultans der Leere.
Nabel der Liebe –
ukrainisches Feld,
geräumig und ausladend
wie des Sommers Seele,
mit dem Zittergold
des Weizens.
Über dem Feld wogt die
Nacht,
und im Himmel glänzt von den
Insektenstichen der Sterne
Kühle,
und atmet so leicht,
dass man meint,
noch einen Augenblick –
und der Zug der Salzkarawane
wird das bestickte Handtuch der Mutter
ausbreiten
mit den Zaubergaben
des Herzschlags.
Reflektierende
Spiegel der Liebe,
Orgelansturm
der Nächte.
Deine Schlaflosigkeit
steht in der Schneise
der Mondbeben
rezitiert Gedichte –
Wetterleuchten
von Erinnerungen
im Kaleidoskop
zerstreuter
Ereignisse,
von Daten und Jahren.
Hinter dem Dirigenten
Pult ist Stille,
über der Partitur
der Zeit,
steht, leicht vornübergebeugt,
in gestärktem
weißen Hemd
jugendlich das Morgenlicht.
Und während im Konzertsaal
der Träume
die verlorenen Zuhörer
sich sammeln,
wird das Solo des Schweigens
gestört nur vom
aufgescheuchten Sommer.
Sündige
Leidenschaften
mit den
Weinkellern
der Nacht.
Der Kristallkelch
der Morgendämmerung
ist erwacht
und in tausend Scherben
zersprungen.
Der goldene Kristallleuchter
der Sonne
statt eines allsehenden
Auges.
Die Nachtblindheit
der Liebe
auf den Stufen zur
Republik
der Trennung.
Abgelegt ist die Krone
des Imperiums der Liebe,
sie liegt
geduldig auf dem Regal
antiquarischer
Träume,
und des schwarzer Paars
deiner Pupillen,
sie sinkt auf den Grund,
wie die Atlantis
der Nacht.
Der Leere schweigsames
Insekt
ins Gitter einer Stimme,
und es fliegen
Träume von verspielten Tagen
im Himmel der Erinnerung
in Richtung Sommer.
Und der Aufruf
KOMM ZURÜCK,
wie eine Fahne im Wind,
mahnt ruft und winkt
in des Herbstes Bucht
mit dem Gold der Kindheit.
Geschlossen des Tages
Lider,
die Nacht, wie ein Drittes Rom,
wie eine unterbrochene
Erzählung,
steht am Kopfende
der Träume,
und da die Stecknadeln
der Sterne
das Hirn des Dichters
quälen,
wartet das Morgenrot
ungekrönt
auf das Ende der
Erzählung.
Nächtlicher Himmel
der Leidenschaften.
Sternrippen
versengen
die kalten Ströme
der Milchstrasse.
Sei es im Traum, sei es in der Wirklichkeit.
Dem Herzkammerkäfig
entfliegt
nicht der schwächliche Vogel
der Wünsche,
sondern ein mächtiger,
von der Freiheit des Geistes
verrückt gewordener
Schwarm aufmüpfiger
Emotionen.
Das ist mein Flug.
Ich im Schwarm, ich in ihren Schwingen.
Was aber blinkt da
vorn?
Vielleicht die Morgenröte?
Vielleicht kehre ich zurück?
Vielleicht ist das Leben
nur ein Wimpernaufschlag?
Ein Augenblick –
und ich bin wieder im Käfig
eines neuen Tags.
Am Vorabend des Glücks
da eine nicht gelebte
Liebe ausklingt,
zwischen den Ufern
von Traumgesichten –
ist die Erwartung
gleichberechtigt.
Von einem Punkt deiner Seele,
von einem Punkt meiner Seele
gehen weder du, noch ich
aus um
uns zu treffen.
Einzelzelle
des Erdballs
mit dem Gitter vor dem Fenster
aus Längen- und
Breitengraden.
Auf in die Freiheit –
ans Meer, über den Horizont,
zu den Sternen des nächtlichen Himmels,
doch das Leben hinter Gittern
mit seinen Freuden
und Leiden
macht betrunken und lässt nicht los.
Heimat der Liebe
auf der Insel des Herzens,
umspült vom Ozean
der Erinnerungen.
Und es rollen die Wogen
der Tage
vom Horizont
deiner Augen
in die Sternennacht
des Vergessens.
Ein Schmuckstück das Leben
eben,
aber ich sehe
auf dem Abhang des Sonnenlichts
ein Traumgesicht –
ein Geschöpf des Himmels
ähnlich der
Mondfinsternis
des Endes.
Auch in der Freiheit gibt es keine Freiheit
HUNDERT GRAMM KOLYMA
1
Nächte ohne Himmel.
Hin und hergerissen von den Winden
über dem Abgrund des GULAG
schwankt ein Tisch mit Schnaps
im kantigen Glas von Kolyma.
Die Mondkerze
rührt mit ihrer Wange
an das mit Eis
vermauerte
Fenster im Gefängnis
und wärmt die Träume von Stus,
die da fließen
über der lieben Mutter
der Ukraine.
Da liegt auch die Hakenkreuzspinne
auf der Lauer
in der Ecke
von Kolyma
und fängt in ihrem Netz
Schatten entkräfteter Häftlinge.
Der Erde Schleifstein
schleift die Seele
und die Feder des Dichters,
auf dieser Kreisbahn
des Zifferblatts
zählt die Zeit
die Wellenkämme der Minuten
und klebt
Jahre und Tage
zu einem ausgedehnten Gebinde,
hier gibt es keine anderen Gesänge
und kann es nicht geben.
Die Vulkane von Magadan –
zweihöckrige Kamele –
sind als Aufseher erstarrt
im Lotossitz
über dem ewigen Unrecht
dieses Landes.
Ein Traum-Gespinst,
eine Traum-Insel
hing über dem ewigen
Permafrost.
2.
Auch ich habe meine Vorstellungen verflucht
und die Fata morgana
des Widerscheins irrte wie eine Kugel,
purpurrot leuchtend,
und du schwammst in meine Umarmung
hieltest meinen Sohn
an den Händen, ich wusste,
dass du nicht bis zu mir gelangen wirst,
und wandte meine Augen nicht ab
von dem Schiff.
Warum hast du gesagt:
„Komm zurück,
ich habe keine Kraft zu warten?“
Und die Wespen deiner Worte stachen
mich so sehr,
dass ich mich kaum
auf den Beinen halten konnte.
Wessen Stimme höre ich,
ist es nicht meine eigene:
„Nun, guten Tag,
du meine Straße,
leb wohl, mein Haus!“
Das Haus aber schweigt,
mein Haus ist stumm geworden,
mein Haus ist erblindet,
mein Haus erkennt mich nicht mehr,
nur das Knarren auf dem Gang
macht das
Leiden deutlich.
Die dünne Brühe der Gefängnistage,
wie ein Eichhörnchen im Rad,
nagt die Zedernüsse
meiner Augen,
und die Tränen
sind ausgetrocknet, blutig flackern sie
über den Flammen meines Schicksals
und lassen nicht zu, dass man
die Liebe umbringt.
– Vasyl, wer bist du?
Ich – das bin ich, ich – das ist die Heimat,
ich – das ist mein Volk,
und man wird mich nicht brechen,
es und uns,
solang der Glaube in uns lebt.
….Psychologisch hatte ich verstanden, dass sich das Gefängnistor schon für mich geöffnet hatte, dass es sich in diesen Tagen hinter mir schließen würde – schließen für lange Zeit. Aber was sollte ich machen? Ins Ausland fahren lässt man die Ukrainer nicht, und es hätte mich auch nicht sehr gelockt – in jenes Ausland. Denn wer wird dann hier, in der Großen Ukraine, zur Stimme der Empörung und des Protests? Das ist Schicksal, und sein Schicksal kann man nicht wählen. Gut, man nimmt es an – so wie es schon nicht mehr ist. Wenn man es aber nicht annimmt, dann wählt es uns mit Gewalt…
Meinem Enkel David
Prolog
Die ätzende Sonne verschreckte den Mond. Mit seinen Zähnen
bohrte sich der Wald in die Berge. Wege verwandelten sich in Zugluftgassen.
Nicht, dass die Zeit von Bosheit geatmet hätte, sondern nur so.
Auf den Straßen tollte die Stille. Mit dem Rücken zur
Dunkelheit standen die Goliath-Felsen. Und die Karaiten
kamen auf den Friedhof um zu sterben, in ihr Paradies,
von einem seligen Gedenken beschützt. Die kleinen Völker
haben immer die Ewigkeit vor Augen. Sie legen
unter den Kopf der Nacht ihre Leiden und Fahrten
und schlafen ein in der Wärme, gehätschelt vom Flackern der Kerze.
Hier ist es unanständig einander zu erkennen. Die Gesellschaft
aufdringlicher Freunde hast du verlassen, nun bist du du selbst.
Besteige den Zug und komm.
Der Alltag hat die Hiesigen um die Philosophie gebracht. Doch das ist nur
ein Vorwand. Schau auf ihren Gang. Schau, da geht eine Frau,
hinter ihr ein alter Mann? Nicht Trauer und Gram, sondern Erwartung und Sorge,
ihren einzigen Reichtum, tragen sie hartnäckig
und mit Würde, wie ein Joch auf den Schultern, und
in diesem Reich des Nichtwissens lebt ein unverwechselbarer Geist.
Sich selbst vergessen, das ist hier der erste Grund, der Beginn der Wanderung.
Touristen sind hier unerwünschte Gäste. Auch wenn es viele davon gibt.
Sie schauen drein, wie Möwen auf dem Pier in einem Hungerjahr.
Kann denn das Meer töten?
Hier die Entfernung – eine Sache für sich, eine Wirklichkeit des Jenseits,
und wenn ein Licht im Fenster brennt, glaub es nicht. Das Leben des Städtchens
zu leben ist schmählich und sinnlos. Alle Zeichen der Interpunktion sind hier
nicht angebracht, und nur die drei Punkte gewinnen eine
solche Kraft, dass, wäre da nicht der Wind, ich nicht wüsste, wohin
das alles führte. Alle Sorgen und Mühen bringt der Sommer.
Sich Fügen ruft nach Trennung. Der Herbst kommt. Und die größte
Trauer ist noch immer gierig nach Rache. Verzärtelt führt ein Pinsel an der
Hand einen Stammgast. Und es stöhnt das Herz jeden Morgen, als himmlisches
Manna fällt der Tau auf die Erde. Und man möchte alles lassen
und weggehen. Erdulden ist nicht meine Sache.
Präludium
Es glüht der flügellose Mond. Erhaben und eintönig
vollzieht das Leben der Jahrtausende sich, nicht zu dulden und
schrecklich ist die Liebe zur Erde in diesen Augenblicken. Hinter
der Verwunderung steht eine Reihe, ein Mosaik von Erinnerungen.
Weiß jemand, ob ich hier zurückkommen werde über die rauchigen Stufen
des Korans, da die Zeit des Bades im nächtlichen Brunnen
der Stille, im Nebel der Sternkonturen gekommen ist.
Nomaden
Von der Sonne, diesem allerklügsten Kopf, strahlt das Leben Funken aus
auf dem unbeaufsichtigten Himmel, und am Halsband der Winde
führt man unter dem Gelächter der Nomadenzeichen das Blätterwerk vom
Sommer in den Herbst, aus jenen stark befahrenen Zeiten, wo so
interessant alles war, an diesen Ort, wo sich wiederum Gäste einfinden,
denen es auf der Erde eng geworden ist.
Tal des Josaphat
Das Tal – ein Gefilde des Schicksals, herbstliche Stadt in roter
Furcht, wo die Weinbergmönche und die Sonne, die sich
verausgabt hat, in ihrer sterilen Größe leben,
wie kleine Völker, in der Freiheit grenzenloser Stille.
Betäubt stehen die Nebel, Urbild einer flügellosen Sippe,
und die graue Luft, eine trunkene Luft, führt zu verwahrlosten
Gräbern.
Die alte Stadt
Haltestellen grüner Schmetterlinge, der träumerischen Seele
Trug, und der Wacholderstrauch als Köder grad genug, vom Himmel ausgelegt,
Geschenk von oben. Hinter der Wegkreuzung die alte Stadt,
auf der Jahrhunderte Botschaft bedacht, wo Karaiten vor sich dösen still
im Schatten müd gewordener Wolkenpracht.
Cufut-Kale
Vielstimmig das Gezänk, da von des Jakobs Leiter
aus dem Himmel ein Chor von Wundern niederstieg,
den Sternzeichen zum Trotz. Unter weißen Kleidern
der Wolken blinde Gier verbergend schritten wie
römische Patrizier mit nackten Hoffnungen verzweifelt die Reihen
der Jahrhunderte ohne Erbarmen. Den Chronikschreibern fehlte es
an Eifer nicht, vorauszusagen der Wege Schicksal, es lief die Zeit
vor Ungeduld Hals über Kopf davon in diese Höhlenstadt.
Mangup
Durch der Wünsche Traum, ohne anzuklopfen, traten wir ein
in den Raum. Blinder Nebel machte uns zur Mitte
des Weltenbaus, und verwischt waren die Grenzen zwischen Seele
und dem schlaffen Leib; jede Anstrengung führte nach oben, auf das Plateau,
wo mit winzig weißen Kreidekrümeln erbarmungslos der Wind
über die Felsen strich, und der Geschichte zurückgab den
Preis für den Blutzoll unterworfener Vasallen.
Die Zeit verging. Mit feuchtem Tuch wischte der Regen über das Glas,
und das Leben schaute in seiner Vorstellungskraft so weit,
erblickte in den Moscheen ungebrochener Jahrhunderte Felder aus Wolkenreis
und die Gesichter türkischer Krieger, unterwegs zum Gebet irgendwohin
in die Berge, unter dem stolzen Himmel des Feodoro.
Abdruck
Nach dem Fahrplan der Himmel ist der Schlucht die Nacht bestimmt. Scharen
von Engeln und Träumen hängen in abgrundtiefer Luft, der Wind
verjagt die Phantasien, und in diesem wilden Reich der Träume
verfolgst du den Stern im Flug. Allen Vorhersagen zum Trotz
stellt eine drückende Ruhe sich ein, und das Bett des versiegten Flusses,
wie ein stolzer Krieger ohne Hand, ist nicht nur erstorben – auf den Grund gesunken
ist es ein Grabdenkmal lebendiger Zeilen. Die Trauer, ohne mit der Wimper zu zucken,
hinterließ ein purpurrotes Morgenlicht im blutigen Kampf der Interjektionen,
sie ging weg, und alle besiegten Krieger aus so vielen durchlebten Jahrhunderten,
ohne Böses zu ahnen, brennen als Wachskerzen auf den Felsen,
wie ein Geschenk für die Kinder.
4
Brief van Goghs an Paul Gaugin
Komm mich besuchen. Aufgespießt auf den Hass des Auges webt der Verstand
das Spinngeweb der Vorstellung. Die Sonnenblume reift, will auf das
Bild, ins zeitlose „ich“, das doch nicht verstanden wird von mir
in so vielen Jahren der Qual der Seienden. Wir werden trinken, ins
Bordell gehen und die Taten der Dämonen rühmen im arglosen
Raum der Nächte, ausgezehrt von der Sehnsucht, wie von der Motte
unserer abgestumpften Gefühle.
Gaugin, wozu hast du vor der Zeit dich abgeschirmt mit einem Zaun,
der müden Wahrheit verdorbener Hoffnungen? Krause Gedanken
die aushöhlen den Stolz der Tage, laufen auf eines hinaus –
die kalte, stumme Sonne, Altersgenosse der Einsamkeit,
die uns entgegenkam aus der Leere, der wir entsagten,
aus Orten, wohin unser beider Weg geht.
Wie lang denn noch! Komm!
5
Die Seele – Zufluchtsort beflügelter Eingebungen, aber der Gedanke, wie
ein armer Bruder, will nicht klagen und wartet, bis dass
dein schwacher Verstand seine Kränkungen versteht, die auf dem dunklen Grund
der Stille leben. Hinter gleichen Rechten entfaltet der Sonnenuntergang seine Farben
zu einem Motiv, immer feuriger, von Leidenschaften mit gleichem Namen
ein Alptraum jagt über die Staffelei schon im Galopp, im Geheul
des Blaus, und es sprüht die Sonne zitternd von Reizen, noch einen
Augenblick – und des Himmels Gewölbe stürzt ein. Wie ein betörender Anfang
sind der Hölle Tore geöffnet, du stürzts auf den Grund des Alls,
der geizigen Fürstin, die beflügelt ist vom Wahn deines Missgeschicks.
6
Brief van Goghs an seiner Bruder Theo:
Ich wag es nicht. Du bist so simpel. Doch zieht es die Hand zur Feder,
zum zeitlos reinen Blatt Papier. Ich eile mitzuteilen.
Wenn es schmerzt, kurierst du dich mit Heilmitteln, mein Bruder,
ich aber – mit dem Brief. Mir scheint, dass für uns beide
es nur ein Herz gibt. Wenn ich abgehe, sollst auch du dich
nicht länger aufhalten. Nun denn, so soll es sein.
Jetzt aber das Wichtigste. Versteh, nicht um das Malen und nicht um
die Bilder geht es, und auch der Preis spielt keine Rolle hier. Wir beide
haben eine Mission, die wir erfüllen. Und all die Worte
von der Bestimmung des Künstlers sind ein solcher Unsinn, wie
unser Bemühen um ein besseres Leben.
Theo starb ein halbes Jahr nach dem Tod van Goghs
PROLOG
Ein störrisch Volk sei ihr, doch ich hab aus Ägypten euch
herausgeführt, und wenn nicht Moses wäre, für eure Sünden hätt´ ich euch
hinweggefegt vom Antlitz dieser Erde, doch führen will Ich euch
in das verheißene Land, das fließt von Milch und Honig,
um der Vergehen fremder Völker willen, nicht um deiner
Gerechtigkeit, Volk Israel.
Dem Abraham, Isaak und dem Jaakob gab ich mein Wort, sie
werden als Gefährt Mir dienen, euch aber als Unterpfand,
dass in Erfüllung geht, was Ich euch vorgezeichnet habe.
1
Was für ein vorsorgliches Gespür, Vorausblick, Glauben
braucht es um einen Sohn, der von den anderen Söhnen
nicht geliebt, vom Herz des alten Vaters wegzureißen
und in sein Unglück, zu seinen Brüdern zu schicken, den Kelch
des Unglücks auszutrinken mit aller Bitterkeit und Lohn des vom Himmel!
Was hatte Jossejf denn gewusst von seinem Weg, den Sternen und dem Schicksal
des Propheten, von seinem Vater Jaakob, von Benjamin, dem jüngsten Bruder,
vom Traum und seiner Deutung, vom blanken Neid der Brüder,
der Stille, die aufstand bis zu der Zeit, welche dem Dornbusch
war bestimmt zu brennen und nicht zu verbrennen? Jossejf
ging den geraden Weg, vom Schöpfer vorgezeichnet
in der Wüste, er wusste nicht, was vor ihm lag, doch das tat
nichts zur Sache, dafür steht Gottes Wille. Es schatteten die Engel
über ihm, der Himmel nahm sich seines Sohnes, des berühmten, an.
Ist alles denn schon eingerichtet ohne uns, und sind uns nur die Rollen
zugedacht, die wir zu spielen haben? Es geht alles dem Ende zu,
die Brüder triumphierten, kaum dass sie ihn gesehen hatten. „Da geht er,
unser Besserwisser, – so sprach einer, – wir wollen ihn um
Geist und Freiheit bringen“. Noch war die Hungersnot in Kanaan,
das Land Ägypten in weiter Ferne, bis zur Vergeltung sollte es nicht Tage,
nicht Monate, doch Jahre dauern.
2
Und Jossejf wusste nicht, wer für ihn eingetreten war, auf dass sie ihm
das Leben nicht genommen hatten, versuchte in der Grube zu verstehen was geschehen,
sein Leben war nun keinen Heller wert. Kränkung verspürte er nicht,
ein anderes Gefühl, bislang unbekannt, erfüllte mit Wärme ihn
er dachte an den Abraham, der alle Prüfungen bestanden,
mit Glauben füllte seine Seele sich, und er erkannte,
dass jener Traum, von dem den Brüdern er kindlich-naiv berichtet,
wohl in Erfüllung gehen und sein Leben verändern müsste,
und das seiner Brüder und seines Vater Jaakob. Jetzt hieß es warten,
bis dass der Herr die Rettung schickt, das Leid ein Ende haben wird,
der Schatten irdischer Müdigkeit von seinem schönen
Gesicht fallen wird. Die Rettung war gleich nebenan, nach Ägypten
zog eine Karawane, beladen mit wertvollen Waren,
die Brüder aber wollten keine größere Sünde auf sich laden
und boten den Händlern Jossejf zum Kauf. Nicht lange dauerte der Handel,
mit Handschlag beschlossen sie das Geschäft, und die setzten mit ihm
ihren Weg fort, denn ein weiter Weg noch stand Jossejf und
seinen Träumen bevor. Ein jeder geht auf seinem: Jossejf nach
Ägypten, die Brüder zum Vater Jaakob um vom Unglück zu erzählen,
das sich ereignet hätte: Jossejf gefressen von den wilden Tieren,
und zum Beweis zeigten sie sein Hemd getränkt im Blut des Böckleins,
und diesen Schmerz auf des Vaters Haupt zu wälzen, und die Jahre wie
Kreise auf der Oberfläche des Wassers umschlingen den Patriarchen
Jaakob, seine schlaflosen Augen.
3
Und Jaakob sah im hellen Licht des Tages schwarze Tage, doch er
murrte nicht, rief den Allerhöchsten an. Er wollte glauben,
dass es ein Zeichen sei, nicht Gottes Strafe für seine Sünden, sondern
ein geheimes Zeichen, doch die Zeit heilte seine Wunde nicht, er dachte
an seine geliebte Rachel, und eine Stimme von oben, kaum zu hören, flüsterte:
„Jossejf lebt“, und Jaakob, geplagt vom nächtlichen Rauschen
des Windes, verspürte Seelenqualen, rügte sich selbst
ob der Schwäche des Geistes Jaakobs, ob des roten Gewands,
das er Jossejf hatte nähen lassen, ob der Sklavinnen seiner Söhne, und ob
Lea und Rachel, deren unaufhaltsame Eifersucht, die da wuchs von Tag
zu Tag. Wie eine Lawine holte die Vergangenheit ihn ein, da er
beschloss dem Laban zu dienen um Rachel zu gewinnen, da er mit dem
Engel Ajsaw kämpfte und diesen besiegte, und dessen Bitte um Schonung
vernahm. Jaakob hatte verstanden, dass ohne Jossejf eine Lücke
geschlagen wurde in seiner Nachkommenschaft für die kommenden Zeiten,
und dass diese Sünde der des Adam gleichkam, und damit konnte
seine Seele sich nicht abfinden. So blieb er in der Einsamkeit
der prophetischen Gabe, eines ruhigen Alters
und des Traums, und ein Schatten hüllte ihn ein, ein Nebel besorgnis-
erregend, nicht zu durchdringen für das Herz. Aber man musste leben,
nicht nur leben, auch glauben, nicht nur glauben, sondern aus vollem Glauben
den Allerhöchsten preisen, lieben, lernen nicht für sich selbst, sondern für Ihn,
auf kindliche Weise, rein und beflügelt, geheime Zweifel
verjagen aus dem armen Herzen, hinaus, und dem Herrn dienen.
Jaakob tat diesen Schritt, so wie es Abraham und Isaak getan,
und seine Seele stand unerschütterlich.
1
– Abraham!
– Da bin ich.
Nacht war, und Stille, die
in leises Flüstern überging,
den Weg verriet in einen
rätselhaften Abgrund
von Worten nicht von Menschenhand
von Schöpfers Wort.
-die Kunst zu leben
und bis zum Ende
den Herzschlag dieses Volks,
das störrisch ist, zu zählen
nur wenigen ist es gegeben,
doch die Geduld allein –
sie ist der Schöpfung Krone.
Und da
du in die Ferne blickst
gebannt,
erhebe ich zur Geschichte Thron
die stummen Augen,
und dein Volk
das Ich geführt
durch Ruhmes-
wüsten
und in die Thora eingeschrieben habe,
es soll nicht murren,
und wenn, dann lasse Schande
über es ich kommen
vor den anderen Völkern.
Du siehst,
dir sage Ich´s im Vorhinein,
solang dies alles noch
nicht eingetreten ist,
solange blinder Neid
und ungesühnte
Bosheit mit ihrem
Gift die Erde tränken,
solang der Ordensritter
Regimenter
naiv von Kopf bis zu den Füßen
irgendwo
hinter sieben Bergen,
kindlich schlafen.
Ohne Offenbarung
ist alles Streben
nach oben,
in Mein Zuhause,
versperrt.
Wortlose Ewigkeit,
sie ist Mein erster
Himmelsbewohner,
da in der Welt da unten,
wo du wohnst,
Abraham,
alles so freudlos ist,
natürlich
Schmach und Schande
leben unangefochten,
und der Beweis dafür –
ist Cham, des Noach Sohn.
– Abraham!
– Da bin ich.
– Die Zeit ist da. Zu gehen
ist nicht lang. Drei Tage
auf dem Weg.
Nimm Feuer mit
und einen Arm voll Reisig.
Bedarf habe ich an Isaak.
Schnüre fester
das Reisigbündel.
2
Über seinen Körper lief
die Schlange Nacht,
und nicht mehr leben wollte
Abraham.
Der Schlaf, umfangen
von des Kummers Flamme
suchte den Weg
ins Morgengrauen,
zur Sonne, und in den Schläfen
pochte ein Fluch:
„Drei Tage auf dem Weg“
Am frühen Morgen
kamen Diener
kamen die Sorgen,
und auf der Schwelle
stand verloren
Isaak.
„Es soll sein“ –
sprach Abraham
und er ließ packen.
Vor ihnen lagen nicht
die Berge,
sondern Moria, der Berg, wo
es dem Tempel
bestimmt zu stehen ist,
wo die Gespräche
über das, was irdisch, was vergänglich ist,
zurückstehen,
wo nur die Furcht allein
die kein Maß kennt,
auf Engelsflügeln
im Gebet auffliegt
als Werk des Glaubens
und nach der Herabkunft
begeistert der Seele
Wesen sich erwirbt,
während der Leib (vergeblich
sind alle seine Mühen)
nach Gottes Wort –
„Aus Staub zu Staube wird“.
Alles ist grundgelegt in Seinem Plan,
einem Geheimnis groß fürwahr.
– Abraham!
– Da bin ich.
– Hörst du denn
Meine Stimme nicht?
– Ich höre sie, die über mir,
in mir ist, und jedes Hindernis
auf Erden überwindet.
-Dann geh.
Ich bin darob unendlich froh.
Die Zeit der Prüfungen –
die Schreckenszeit,
die Lösung
all dessen, was da kommen muss,
ein Wagen knarrend
von Segen überschattet
und doch offen.
Die Sanduhr irdischer Vergnügungen.
Das Land als Urteil.
Von persönlichen Sachen blieb ihm nur der Körper.
Die Zeit mit den Augen des Wucherers.
Transkription des Gedankens.
Intime Seite des Mondes.
Den Himmel mit den Händen nicht zu fassen!
Es kommt die Zeit, wo alles seinen Sinn verliert.
Die Seele war weg, aber der Tod kam nicht.
Besser zu ahnen als zu wissen.
Adam und Eva haben einander nie geliebt.
Auf den Hüften des Herbstes wiegt sich die Trauer.
Wenn Du geradeaus gehst, ohne zu biegen, kommst Du ins Paradies.
Zwischen Kindheit und Alter liegt die Jugend der Morgendämmerung.
Anscheinend hat er auf dieser Erde nicht gelebt, war aber ganz erschöpft!
Was für eine merkwürdige Manier, für immer zu sterben?
Auf dem Platz des XXI. Jahrhunderts steht das steinerne Herz. Eines für alle.
Die Heimat bat, sie in Ruhe zu lassen.
Schafott der Zeit.
Orchestergraben der Hölle.
Hochbetagter Tod.
Zwergwüchsiger Tyrann.
Aufstand der Neugeborenen.
Eierformk ö pfige Nullen.
Quadratleichengerüst von Malevich.
Humaner Antisemitismus.
Der Heimat erschöpfte Grimasse.
Volksl ä cheln von Mona Lisa.
Pfandleihhaus der Glücksfälle.
Das Hinterteil des Gesichts.
Die Vorderseite des Nackens.
Solo des Polarsterns.
Als ungebetener Gast auf Erden leben.
Die Zeit hat ihren eigenen Uhrmacher.
Der Ortschaft hat man die Geographie weggenommen.
Ich habe auf Erden nicht gelebt.
Wählt mich zum tollen Kerl!
Wir haben alles bekommen, was wir nicht wollten.
Die Unsrigen sind mehr als Verwandtschaft.
Arm ist der Bursche, aber wie schön!
Überlege nicht zu viel – es wird kaum helfen.
Wir kommen ohne uns aus.
Er las nicht nur fremde Gedanken, sondern auch seine eigenen.
Überall, wo es nur möglich ist, steht verboten.
Die Stadt habe ich als Erbe für Freunde hinterlassen.
Grüße zum Geburtstag, Ewigkeit!
Bring einen Stern zum Lachen!
Fünf Kontinente der Gefühle machen die ganze Erdkugel des Menschen aus.
Der Himmel ist so niedrig, dass man durch die Erde kaum aufrecht gehen kann.
Nein ist eine Brücke, die andere gehen.
Die Welt hat sich verändert, aber ich habe ihr Gesicht nicht erkannt.
Sind wir denn genauso wie die anderen, nur schlechter?
Auf der Waagschale ist deine Liebe leichter als meine Wünsche.
Das Gesicht wie die unterbrochene Erzählung.
Am Vorabend des Schicksals.
Er ließ sich im Unbewussten nieder.
Hauptsache ist: beim Chef der Unentbehrlichste zu sein.
Wieviel ist zweimal zwei? Je nach dem.
Die katholische Pappel.
Der Ameisenhaufen der Stille.
Übereinstimmende Ungleichheit.
Die Eintönigkeit hat ihr eigenes Metronom.
Frigide Gedanken.
Schläfenschmerz der Metaphern.
Heroinfelder des Schnees.
Bücherregale der Tage.
Der Regen schlief stehend.
Er erwartete den Sonntag, es kam aber der Montag.
Das Leben ohne Interpunktion.
Kehrseite der Vernunft.
Judäische Augen der Nacht.
In der Nacht schien er ein Negativ zu sein.
Gedankenpunkte gelten für lange Zeit, der Punkt aber für immer.
Die Eiszeit des Schweigens.
Es lässt sich nicht nur gar nichts, sondern auch zu niemandem sagen.
Der Herbst des Hexenmeisters.
Mausoleum des Gedächtnisses.
Messerstecherei der Eins.
Er sprach mit verschiedenen Worten.
Des Herzens roter Frosch.
Schatten der Wörter.
Die Zukunft und die Gegenwart haben nur Vergangenheit.
Der Große Meister der Abwesenheiten
(Ausgewählte Kapitel)
Teil 1. Einsamkeit
Ich bin der Erstling der Einsamkeit. Ich bin der verlorene Sohn einer versunkenen Monarchie. Jenseits der Sonne, in einem Sandschloss, in jenem geographischen Punkt meines Schicksals, das bis zu den Rändern mit der Erwartung der Inspiration gefüllt ist. Durch den Sarkophag der Nacht sprießen die Ähren des Morgenrots, und ich sehe, wie der Schatten meiner Schritte zwischen den Zeilen durch das nicht gemähte Feld der Zweifel zu meinen Ungeliebten schreitet.
Ich, der ich in der Leere, Taubheit und Stummheit verweile, soll ich die Genealogie der am Meereshorizont als roter Aufstand der Pariser Kommune schwimmenden, unbehausten Sonnenuntergänge und Sonnenaufgänge nicht kennen? Zum Greifen nah liegt der Aufruhr der Stille. Laubloser Himmel fleht um die Gnade an, nun ist er von mir begnadet, und in diesem schwarz-weißen Wirbel von Entzückung und Verzweiflung spüre ich, wie in mir Robespierre keimt, und ich kehre zu meinen Wortmitbürgern zurück und rufe die Besten von ihnen auf, sich unter die Fahnen meiner Poesie zu stellen.
Kann ich denn schon zu Lebzeiten die Nichtexistenz verweigern, wenn die Tage wie Tausende von Blutsaugern durch das Himmelsgewölbe meines Bewusstseins auseinander kriechen und dann wie ein wurmiger Regen auf mich stürzen, indem sie die durch den Ehrgeiz verletzte Leidenschaft zum Dichten in ein Sieb schweigsamer Bekenntnisse verwandeln, in die Kehrseite des Seins, das außerhalb der Zeit lebt, aus dem ich einmal emporgekommen bin, während ich vergessen hatte, die Tür hinter mir zu schließen?
Die Wüste meiner Träume. Am Seelenrande stehen Miriams Brunnen und Palmenhaine der Wolken, und etwas weiter erhebt sich der gottesfürchtige Sinai und fragt und fragt… Ich höre die Stimmen und das Flügelgeräusch, der Gottesdienst wird mir aber verweigert.
Teil 3. Sonnenfinsternis von Illusionen
Kant als Ding an sich ist gleich einer krankhaften Ikone auferstanden, und die Welt als Wille und Vorstellung ist nicht mehr als eine Sprachfigur in den Strandwassern, die nach den Traumwolken haschen, in den Gezeiten schweigsamer Dialoge über das Wesentliche, das im Bewusstsein als Keim mystischer Schrullen elend haust, als eine Welterfahrung, als Spott und Hohn über dem Ameisenalltag des Seins.
Welch ein Zusammenfall! Bereits auf dem Turm der Zeit wirft die Morgenröte der Stunden aus deinem Buch den Schatten auf den Mittag des teilnahmslosen Verhaerens, seine „Mönche“ schimmern in einem widerspiegelten Mondlicht auf, als ob er selber ins Kloster gehen möchte.
Der Flohmarkt der Veränderungen ist des Verstands beraubt, von Nietzsche weht nun Kälte, Trennung, Lou hat ihn verlassen – solch ein Schicksal erwartet auch Dich – ihre Augen glitzern silbern, und in ihrer Stimme ist Winter.
Willst Du wissen, wovon Zwetajewa und Pasternak träumen? Nur von einem: damit du sie in deiner Seele aufbewahrst.
Die Sonnenfinsternis der Illusionen. Auf der St.-Helena-Insel in der Verbannung der Freiheit – bist nur du und der Geist Napoleons.
Die Wege deiner Zeilen verflechten sich in ein größeres Gleis, und nun legt Leo Tolstoi seine Hand an den Pflug, und hinter ihm steht der Novize des Jesuitenkollegs James Joyce.
Was für schreckliches Schicksal verirrter Genien, die auf dieser Erde zum Ruhm gelangten! Und im Himmel ist ihnen beschieden zu erfahren, dass das Leben ohne Glauben ein Weg aus dem Nirgendwo in das Nirgendwo ist.
Teil 7. Herbsthände
Und Jakob stand frühmorgens auf, und nahm einen Stein, den er sich an das Kopfende legte, und stellte ihn als Denkmal auf.
Und Nike, vor Wind fliehend, erstarrte in Stein und wurde zu einem Windsteinbild.
Nun geht auch Rilke mit einer Schlinge am Hals zwischen den Bürgern von Calais – so begann die Erfassung Rodins. Wie kam es dazu – der Dichter im Dienste des Bildhauers und die schöpferische Inspiration – als Sklavin bei Rodin? Im Unterschied zu Rilke kam sie zu ihm nicht, verließ ihn nicht, sie blieb bei Rodin immer, wie seine Hände.
Hände, die von der Armut gewachsen sind, Herbsthände, Trauerhände, Hände, wie abgejagte Tiere. Hände – ein ganzes Volk von Händen.
Er war nicht so sehr ein Betrachter als vielmehr ein Jäger nach Gesichtern, nach Gesten, nach Leben in seiner formlosen Mannigfaltigkeit, er hat es umgestaltet – in Stein, indem er die Zeit stehen ließ. Mit dem Kescher seiner Augen fing er Schmetterlinge der Augenblicke und sammelte sie ohne Unterlass.
Rilke wusste, dass die wichtigste Werkstatt des Meisters sich in seinen anspruchsvollen und nörglerischen Erinnerungen, in dem tieferen Brunnen des Gedächtnisses befindet.
Er verachtete die Ruhe und vergötterte die Bewegung. Rodin ließ seine Figuren lebendig werden und sich auf den Weg machen. Und nun begaben sie sich auf den Weg – sein Johannes, seine Bürger von Calais, und hinter ihnen – der mit seinem weiten Schritt ausholende Balzac.
Rodin schuf Balzac als seinen Antipoden, als einen Elementaren, Erhobenen und Hochmütigen, Lüsternen und Unbändigen in seiner schöpferischen Größe.
Es ist schwer zu sagen, ob Rilke das Geheimnis der Schöpfungen Rodins erraten hatte, eines ist nur gewiss – er war einer der ganz wenigen, die sich diesem Wunder angenähert haben. Ob etwas hinter den Verständnisgrenzen des Dichters blieb? Zweifellos. Er ist ja in seiner Rodin-Erfassung von seiner eigenen Erfahrung ausgegangen.
Rilke verstand sehr gut, dass er einen Schatz entdeckt hatte, und in seinem Essay über den großen Meister teilte er dieses Verständnis mit der Menschheit.
Er sang Rodin eine Ruhmeshymne, eine Hymne für Rodin und für seine eigene Einsamkeit.
Teil 10. Schweigsame Wörter
Wie brüchig alles, und der Zeiten Welle schwemmt deinen Schatten weg, und dieser Schatten ist gleich einem Sandschloss, und in diesem Schloss der Seele haust nun das Bild der Nacht – ein kaltes, namenloses.
Im Morgengrauen harrt deiner die Leere– der Geist der Leere, und in den Pupillen spiegeln sich Felsbilder der Gefühle wieder, die in den Städten nicht existierender Amouren auseinander liegen.
Die Schweigsamkeit im Mund des Dichters ist mehr als Wort, das Sein ist nur ein Trugbild, punktierte Schritte in der Wegelosigkeit der Träume dieser Welt, wo du nun warst und nicht warst. Und hast du nicht zu früh von den Verlusten jetzt gesprochen? Denn die Verluste sind nur Staub und Asche, vom Himmel fliegen sie gleich Schneeflöckchen auf die Erde nieder, und Schwarz auf Weiß die graphische Andeutung, die besagt, das Leben sei nicht hier, es sei ja dort, im Jenseits…
Der sanfte Schreck des Lufthauchs –er ist wie Wirbelkräuseln auf den Wellen, deiner Gedanken Falten, als ob es in der Ferne, hinter dem Gitter jeglicher Anfänge, noch etwas Leben glimmt als Vorbote all des Irdischen.
Nun bist du tête-à-tête mit ungestümem Schicksal, und die Last der Reue wiegt so schwer, ungreifbar, und die Gespensterjahre sind hinterher geblieben, du wartest, und das Unbekannte zieht dich an sich wie ein Magnet, ruft und verlockt, die Angst hält aber dich noch immer, und du hast nicht genügend Kraft zu bleiben.
Du singst nicht vom Orpheus, du singst von dir. Und das sind deine Abschiedsworte:
Und wenn dich das Irdische vergaß,
zu der stillen Erde sag: Ich rinne…
Voraussichtsghetto
Etwas Schwarzes, Unvorhersagendes, der Dekoration der Sonne entzogen, füllt die Ereignisse von „Schloss“ mit der Kälte und Nässe auf. Auf dem Boden eines Urgrunds, wo das Schweigen der Hölle lauert, mitten im Herzen des trügerischen Lebens, schlendert Herr K. umher – der Golem der Leere. Hinter ihm, wie Zizit-Quasten, wie die Erinnerung an das Judentum, gleich den Schatten der Nervenendigungen des Antisemitismus, schleppen sich seine treuen Helfer, die Aufseher seiner Ohnmacht.
Herr R. begehrt, assimiliert zu werden, sich aufzulösen, einer von vielen im Raum der Ausweglosigkeit zu werden, der mit Silhouetten der Jahreszeiten besiedelt ist, dessen Zukunft in den Gefängnissen der Verzweiflung zugemauert ist.
Mit der Hand zu greifen ist es zu den in den Träumen von Kafka lebenden Gaskammern. Seine Zeilen gleichen den Kolonnen der reinrassigen Arier. Sie marschieren und marschieren auf den Seiten seines Romans, sie sind Abwehr und Gestapo mit vom Hass glaubwürdigen Gesichtern, sie sind die Nacht selbst, die Todesnester in den schneidigen Schritten von Magiern und Zauberern der menschlichen Seelen nistet.
Kafka stellt an sie keine Fragen, eher beantwortet er sie, so etwas darf nicht sein, und doch existiert es, Voraussicht und Voraussage haben sich erfüllt, und obwohl es Schwarzhemden längst nicht mehr gibt, sind jedoch KZ-Lager-Museen geblieben, und der Eingang dorthin ist kostenfrei wie damals.
In deiner Rechtslosigkeit werden keine Briefe geschrieben, aber sie fliegen, gleich den Tauben, von Dir bis zum Vater, von deiner Unsterblichkeit zu uns. Wer bist du – ein Prophet? Aber gibt es unter uns noch Propheten, nachdem der Zweite Tempel zerstört wurde? Vorauszusehen heißt in der Zeit zu sein, in der du nie gelebt hast. Wenn es aber einen Eingang gibt, so gibt es in der Nähe auch einen Ausgang. Alles begann mit einem Ghetto, damit sollte es auch enden, und dieses Ghetto ist für uns das jahrhundertelang angebetene Land Erez Israel. Die Liebe ist eine Landstreicherin, sie ist ein obdachloses Gebet der Erinnerungen, sie haust in unseren Seelen, zieht in den schiffbaren Venen des Gedächtnisses umher, führt uns zum Licht dort, wo das Meer der Gram den Horizont der Hoffnung wiegt und singt ihm bis zum Sonnenaufgang ein Wiegenlied des Holocaustsonnenuntergangs.
Faust
Jeder hat seinen eigenen Begleiter. Dank seiner poetischen Gabe erhielt Vergil die Ehre, als Gehilfe von Dante Alighieri zu wirken. Er hat die Höllenkreise wie Verlobungsringe herausgeschnitten, dann reihte er sie auf den Finger des verlebten Tages auf.
Ganz anders Goethe. An seinem Lebensabend verlieh er Faust seine eigenen Züge und belebte dessen Wünsche in seiner eigenen Seele wieder. Und Satan hatte dies alles schon im Voraus vorgesehen, er wusste, dass er den bitteren Kelch der Leidenschaft bis zur Neige zusammen mit dem Dichter trinken müsse. So ist sein Los – den verirrten Seelen des Sündenfalls das Entzücken zu schenken, und mit der Behändigkeit des Hofnarren hat er die Launen des ungekrönten Königs, der mit Ruhm und Ehre gütig behandelt wurde, unweigerlich erfüllt.
Was geschieht nun, Goethe? Der unauslöschliche Leuchtturm deiner Leidenschaften gibt Faust keine Ruhe, er trägt deinen stürmischen Geist durch die schwarzen Labyrinthe der Hölle. Und nun ist das Bild der schönen Helene aus „Ilias“ auferstanden – „Ach, wäre es nicht Helene…“ Kein Wort über das zerstörte Troja.
Nun malt Mephisto vor Goethe Mystifikationsmuster auf die Fensterscheiben der Zeit, und Gretchen ist vergessen, jetzt ist Faust durch Helene erobert wie einstmals Troja durch die Griechen, so findet die Idee Spuren fiktiver Ereignisse im Bewusstsein der Epochen. Der Himmel von Illusionen wird zerbröckelt, noch eine Weile – und Helene wird hingerichtet, so hat es Menelaos entschieden, er kann ihr den Verrat wohl nicht verzeihen, doch die sterblichen Überreste seiner Ehefrau steigen in den Himmel als Brautschleier enttäuschter Hoffnungen und versinken im Wirbel der Verrate, die namentlich bezeichnet sind.
O großer Goethe, du eifriger Sünder, in der Erkenntnis des Guten und des Bösen hast du deine Ahnen Adam und Eva übertroffen, und Satan schien in Deinem Dienst ein übermütiges Kind zu sein. Und den Höllengipfel hast du leicht erklommen. Nicht Engel haben dich und deine sündige Seele gerettet, sondern deine Dichtergabe mit Überdruss des prophetischen Gifts auf der Spitze deiner Feder.
Wie konnte es sein, dass im Morgengrauen die kalten Eisberge erwacht und zu Spiegeln geworden sind? Und Faust hat darin Homunkulus als seine Widerspiegelung erblickt, und vor seinen Augen zerbrach das Reagenzglas im Nu in Scherben, und aus ihren Splittern erwuchsest du, doch führte jetzt Mephisto all das auf die Lebensbühne und ließ den Vorhang der Fantasie wieder fallen. Das atemlose Theater erstarrte, und der Saal war voller Zuschauer, doch hatten sie weder Arme noch Beine und konnten nicht weggehen, auch applaudieren konnten sie nicht, und in dieser völligen Finsternis hast du, Goethe, die Engeln in der letzten Lebensszene erdacht, die deine Seele gerettet haben. „Dreh dich nicht um, fliege“ – hast du ihr hinterher gerufen, doch deine Stimme war einem Rauchstrahl ähnlich, der sich vor dem Hintergrund des Himmels auflöste, wo es dir beschieden war zu erfahren, was du wirklich bist.
So haben Dantes Höllenkreise eine Zuflucht in deinem Bewusstsein gefunden und wurden zu einem Bestandteil des Vorhabens des Schöpfers.
Zu den drei Varianten der Seite ist nun die vierte hinzugekommen – eine Seite für deutschsprachige Leser. Die deutsche Seite hält sich abseits – sie unterscheidet sich in der Struktur und Design. Dies bedeutet aber nicht, dass das Material anderen Versionen deutlich unterlegen ist: Die Seite präsentiert Alexander Korotko als facettenreiche Persönlichkeit und natürlich als Schriftsteller, der erfolgreich in verschiedenen Genres arbeitet (Poesie, Prosa, Miniaturen und Essays, die sich durch die Originalität der Struktur und der Literaturverfahren auszeichnen).
Alexander Korotko ist seit langem dank Übersetzungen seiner Werke in vielen Ländern der Welt bekannt. Seine Gedicht- und Prosabücher sind erschienen, seine Werke werden in Zeitschriften, Sammlungen, Online-Publikationen veröffentlicht. In relativ kurzer Zeit wurde eine ziemlich beeindruckende Zahl seiner Miniaturen und Essays (Übersetzer Petro Rykhlo), Gedichte und Poeme (Alois Voldan) ins Deutsche übersetzt. Dank den beiden Profis auf dem Gebiet der literarischen Übersetzung, insbesondere der Lyrik, wurde die Seite avantgardistischer Dicher der Neuzeit Alexander Korotko erstellt.
Die Seite ist gut strukturiert, wie es sich gehört. Der Autor wird vertreten durch:
· Literaturbiografie, ausgewählte Zitate aus Rezensionen seiner Werke von berühmten Persönlichkeiten, die kaum wegen Unaufrichtigkeit oder Komplimente verdächtigt werden können;
· interssante Aussagen über literarisches Schaffen, Poesie, Probleme der Übersetzung, die Alexander Korotko selbst gehören und von ihm in zahlreichen Interviews geäußert wurden;
· Übersetzungen seiner Werke verschiedener Genres (für Besucher der Seite wird es bestimmt sehr interessant sein, Auszüge aus einem Essay von Alexander Korotko über Vertreter der deutschen Romantik kennenzulernen).
Die Seite enthält auch Nachrichten und eine Reihe von Fotos über die jüngste Reise des Dichters durch Westeuropa, wo er Museen, Galerien, historische Orte besuchte, an denen seine großen Vorgänger – Philosophen, Schriftsteller sowie Vertreter der Kunst – Maler, Musiker – ihren Fuß gesetzt haben.
Als Abschluss der Nachricht über die Erstellung der deutschsprachigen Variante der Webseite gibt es ein Gedicht von Alexander Korotko auf Russisch, von Alois Voldan ins Deutsche übersetzt.
ТЕРРА ИНКОГНИТА
Рефлексирующие
зеркала любви,
органное нашествие
ночей.
Твоя бессонница
стоит в проёме
лунных потрясений
и читает стихи —
сполохи
воспоминаний
в калейдоскопе
разрозненных
событий,
дат и лет.
TERRA INCOGNITA
Reflektierende
Spiegel der Liebe,
Orgelansturm
der Nächte.
Deine Schlaflosigkeit
steht in der Schneise
der Mondbeben
rezitiert Gedichte –
Wetterleuchten
von Erinnerungen
im Kaleidoskop
zerstreuter
Ereignisse,
von Daten und Jahren.
Die in diesem Jahr letzte Ausgabe der ukrainischen Zeitschrift für ausländische Literatur „Vsesvit” ist erschienen. Der Abschnitt „Schriftsteller. Literatur. Leben“ enthält einen Artikel auf Ukrainisch des Doktors für Philologie, Professors der Nationalen Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz Petro Rychlo „Poetische Gedankensplitter von Alexander Korotko“. Petro Rychlo kennt den Gegenstand seiner literarischen Studie sehr gut, das sind Miniaturen / Einzeiler des Dichters Korotko, deren großer Teil von dem Professor vor kurzem ins Deutsche übersetzt worden war.
Petro Rychlo hat dieses Genre im Schaffen von Alexander Korotko sehr hoch geschätzt. Früher hat er andere Werke von Korotko ins Deutsche übersetzt: eine Reihe von Essays über das Schaffen der berühmten deutschen Dichter, Mystiker und Romantiker wie Celan, Rilke, Hölderlin, sowie Essays über „Faust“ von Goethe und über Kafka. Aber gerade die Miniaturen haben Petro Rychlo interessiert, wegen ihrer Originalität, Formenvielfalt, Spiels des Intellekts, das durch Bilder und poetische Präzision begleitet wird.
Die Zeitschrift „Vsesvit“, die sich durch Raffinesse und strenge Auswahl des veröffentlichten Materials auszeichnet, präsentiert seinen Lesern nicht nur Poesie und Prosa von Korotko, sondern auch Kritik über sein umfangreiches Schaffen, und das schon nicht zum ersten Mal. In privater Korrespondenz mit dem Chefredakteur von „Vsesvit“ Dmytro Drozdovskyi hat sich Alexander Korotko für die Veröffentlichung seiner Werke bedankt und drückte seine Begeisterung für das Niveau der Zeitschrift aus.
Den Artikel von Petro Rychlo auf Deutsch kann man hier lesen.
Alois Woldan (sieh das Foto), Professor an der Universität Wien, ein beruflicher Übersetzer, Slawist, Literaturwissenschaftler, Kulturologe übersetzte ins Deutsche eines der romantisch-epischen Werke Alexander Korotkos – sein Poem „BACHTSCHYSSARAJ“, das seines Erachtens ein zweifelloser Erfolg des Autors ist.
Im Werk des Dichters, der mehrere sehr verschiedene Länder besucht hat, legten sich die bei diesen Reisen erlebten (gar nicht touristischen, eher kulturologischen) Eindrücke aufs Papier als Gedichte, Essays, Poeme, in denen sich die durch die Empfindung des Realen und Irrealen, tiefe philosophische Überlegungen und Verallgemeinerungen, genaue Betrachtungen hervorgerufenen Bilder bizarr verflochten – Abdrücke der Präsenz des Dichters „hier und jetzt“. Das Poem hat ganz konkrete Entstehungsdaten: 26. August 2005 – 13. November 2006. Genauer lässt sich kaum datieren.
In der Reihe anderer „geographischer“ Poeme („VENEDIG“, „PARIS“, „JERUSALEM“) nimmt „BACHTSCHYSSARAJ“ eine besondere Stelle ein, vielleicht dank seinem orientalischen Kolorit, einer noch nicht akkulturierten Exotik und jener wahrlich globalen Energie, die im historischen Inneren der Erde verborgen ist und sich an den Bruchstellen der Klüften des Josafat-Tals nach außen losreißt.
Nicht historische Peripetien, nicht Schicksale der Völker und einzelner Persönlichkeiten wurden zum Gegenstand der dichterischen Aufmerksamkeit von Alexander Korotko, wie es zu erwarten wäre, indem man an seine großen Vorgänger denkt (Alexander Puschkin mit seinem „Springbrunnen von Bachtschyssaraj“ oder Adam Mickiewicz mit seinem raffinierten Sonett „Bachtschyssaraj“). Das Schlüsselwort für dieses Poem Korotkos ist Mystik. Mystik der Gegend, der Zustände, der Vorahnungen.
Wir bieten den Prolog zum Poem „Bachtschyssaraj“ in der Originalsprache und in der adäquaten Begleitung der wunderbaren Übersetzung Alois Woldans, der mit dem Autor dauernd zusammenarbeitet und deren schöpferische Verbindung ihre spürbaren Früchte bringt.
Die ätzende Sonne verschreckte den Mond.
Mit seinen Zähnen bohrte sich der Wald in die Berge.
Wege verwandelten sich in Zugluftgassen.
Nicht, dass die Zeit von Bosheit geatmet hätte,
sondern nur so. Auf den Straßen tollte die Stille.
Mit dem Rücken zur Dunkelheit standen
die Goliath-Felsen. Und die Karaiten kamen
auf den Friedhof um zu sterben, in ihr Paradies,
von einem seligen Gedenken beschützt.
Die kleinen Völker haben immer die Ewigkeit
vor Augen. Sie legen unter den Kopf der Nacht
ihre Leiden und Fahrten und schlafen ein in
der Wärme, gehätschelt vom Flackern der Kerze.
Hier ist es unanständig einander zu erkennen.
Die Gesellschaft aufdringlicher Freunde hast
du verlassen, nun bist du du selbst. Besteige
den Zug und komm. Der Alltag hat die Hiesigen
um die Philosophie gebracht. Doch das ist
nur ein Vorwand. Schau auf ihren Gang. Schau,
da geht eine Frau, hinter ihr ein alter Mann?
Nicht Trauer und Gram, sondern Erwartung und
Sorge, ihren einzigen Reichtum, tragen sie
hartnäckig und mit Würde, wie ein Joch auf
den Schultern, und in diesem Reich des
Nichtwissens lebt ein unverwechselbarer Geist.
Sich selbst vergessen, das ist hier der erste
Grund, der Beginn der Wanderung. Touristen sind
hier unerwünschte Gäste. Auch wenn es viele
davon gibt. Sie schauen drein, wie Möwen auf
dem Pier in einem Hungerjahr. Kann denn
das Meer töten? Hier die Entfernung – eine Sache
für sich, eine Wirklichkeit des Jenseits, und wenn
ein Licht im Fenster brennt, glaub es nicht.
Das Leben des Städtchens zu leben ist schmählich
und sinnlos. Alle Zeichen der Interpunktion sind
hier nicht angebracht, und nur die drei Punkte
gewinnen eine solche Kraft, dass, wäre da nicht
der Wind, ich nicht wüsste, wohin das alles führte.
Alle Sorgen und Mühen bringt der Sommer.
Sich Fügen ruft nach Trennung. Der Herbst kommt.
Und die größte Trauer ist noch immer gierig
nach Rache. Verzärtelt führt ein Pinsel an der Hand
einen Stammgast. Und es stöhnt das Herz jeden
Morgen, als himmlisches Manna fällt der Tau auf
die Erde. Und man möchte alles lassen und weggehen.
Erdulden ist nicht meine Sache.
Übersetzung von Alois Woldan
An die Miniaturenform wandte sich der Dichter noch in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Zuerst waren es gezielte aphoristische Phrasen mit humoristischer Färbung, einige von ihnen wurden auf der populären oder, wie man heute sagen würde, hohe Popularitätsquote demonstrierenden 16. Seite von „Literaturnaja gazeta“ veröffentlicht. Später wurden diese Zeilen von den Herausgebern in ihre Anthologie „Das goldene Aphorismen-Buch“ aufgenommen, das mehrere Auflagen erlebte. 2002 erschien eine Art Albumbuch unter dem Titel „Gedankentranskription“ mit den Einzeilern von hoher bildhafter und semantischer Konzentration. Indem Alexander Korotko seine Gedichtbände herausgab, nahm er in sie auch seine Einzeiler auf. In den letzten Jahren wurden auch selbständige Miniatursammlungen publiziert.
Einige Worte über die Übersetzungen. Die Einzeiler von Alexander Korotko wurden im Laufe der Zeit von verschiedenen Übersetzern ins Ukrainische, Englische, Deutsche, Französische, Chinesische, Japanische übersetzt. Indem der Dichter etwa 500 seiner, nach eigener Meinung, besten Miniaturen mit den Parallelübersetzungen ins Ukrainische (Olha Iltschuk), Deutsche (Petro Rychlo) und Englische (Michael Purslav) gesammelt hat, kann er jetzt für ein beliebiges Lesepublikum oder für einen beliebigen europäischen Verlag ein makelloses literarisches Produkt zur Verfügung stellen. Hier sind einige Beispiele:
***
Die Zukunft kehrte in die Vergangenheit zurück.
***
Mutter – und ringsum eine Stille für das ganze verbliebene Leben.
***
Auf der Waagschale ist deine Liebe leichter als meine Wünsche.
***
Die Welt hat sich verändert, aber ich habe ihr Gesicht nicht erkannt.
Der Dichter hat damit in seinem Werk eine ganze Richtung gegründet. Seine Miniaturen haben im Laufe von einigen Jahrzehnten eine Transformation erfahren: von humoristischen Einzeiler-Aphorismen – bis zu den im Gattungssinn und in semantischer Fülle absolut originellen Mustern kleiner literarischer Form.
„Einzeiler-Lyrik“ Alexander Korotkos gewann an philosophischem Aristokratismus, der Gedankentiefe, Formfeinheit – all dies spricht nicht nur für die dichterische Meisterschaft, sondern auch für der Fähigkeit, jeden Einzeiler bis zu solch einer Einfachheit zu entwickeln, die, nach Autors eigenen Worten, „unmerklich für das schnelle Auge“ bleibt. Solch eine „Raffiniertheit“, in Verbindung mit echtem Professionalismus des Dichters im guten Sinne zeugt davon, dass Korotko auch sehr modern wirkt und in Übereinstimmung mit seiner Zeit lebt. Somit ist vor uns ein Dichter für die Epoche, ein Epochendichter.